Die schoene Frau Seidenman
Wort des Erlösers keinen Glauben geschenkt hatten. Zudem, wenn die Juden gesündigt hatten, dann bestimmt Mitelman nicht allzuviel, er war ein rechtschaffener, guter, freigebiger, gerechter und frommer Mann, wenn auch auf alttestamentarische Weise, was nicht empfehlenswert ist.
Kujawski war kein Mensch von übermäßig intellektuellem Ehrgeiz und empfand manchmal eine gewisse Abneigung gegenüber seinem eigenen Verstand, er warf ihm manchmal Beschränktheit vor, er pflegte manchmal zu sagen: ›Eigentlich bin ich ein Idiot, aber ist es meine Schuld, daß ich ein Idiot bin? Und wenn ich selbst weiß, daß ich ein Idiot bin, dann bin ich wohl kein solcher Idiot!‹ Kurz, er stellte keine philosophischen Ansprüche, ergründete nicht die Geheimnisse der menschlichen Existenz und ließ der Welt nicht Gerechtigkeit zuteil werden, machte sich aber klar, daß man ringsum die Hölle entfesselt hatte, daß das Böse triumphierte und man sich ihm auf möglichst wirksame Weise entgegenstellen mußte.
Er nähte Hosen für deutsche Offiziere, denn mit oder ohne seinen Hosen – sie hätten doch getan, was sie taten, Reithosen sind schließlich keine Schußwaffen, auch mit nacktem Hintern hätten sie die armen Juden totgeschlagen, auch mit nacktem Hintern die Polen erschossen, und was die russischen Fröste dort irgendwo bei Moskau anbetraf, so nähte er, Kujawski, keine Schaffellmäntel für die deutsche Armee, in seinen Reithosen erfroren ihnen die Hintern, und das nicht nur bei Moskau, sondern sogar bei Warschau, er hatte also keine Gewissensbisse wegen seiner Arbeit für die Deutschen, zumal ihn der romantische und patriotische Ehrgeiz bewegte, bedürftigen, mißhandelten und verfolgten Menschen Hilfe zu leisten.
Im Frühjahr 1942 wurde er plötzlich zum Besitzer eines großen Vermögens, weil der Schneider Mitelman im Ghetto ganz einfach starb und sein einziger Sohn, der Zahnarzt Mieczysław Mitelman, wenige Tage später auf der RymarskaStraße erschossen wurde. So blieb der Schneider Kujawski mit einem Vermögen zurück, das sich in Jahren dank der Rührigkeit und des Fleißes des jüdischen Zuschneiders und der Schufterei seiner Gesellen angesammelt hatte. Für Kujawski unterlag es keinem Zweifel, daß dieses Vermögen nur zum Teil ihm gehörte, aber er war sich nicht sicher, wem der andere Teil zustand. Bestimmt nicht den Deutschen! Den Juden? Doch wo waren die Juden? Und welche Juden hätten ein Recht auf das Vermögen des Schneiders Mitelman? Vielleicht gehörte das Vermögen dem polnischen Volk? Kujawski stand vor einem Dilemma. Vorläufig jedoch ging der Krieg weiter, Juden und Polen fielen, und das Vermögen in der Hand des Schneiders Kujawski wuchs durch den Bedarf an Reit- und Ausgehhosen für die Wehrmachtoffiziere.
Der Schneider kam zu dem Entschluß, daß seine Sammlung für das künftige Bildermuseum die Namen beider Spender führen sollte, nämlich Apolinary Kujawski und Benjamin Mitelman, er hielt es auch für richtig, einen Lyrikverlag Kujawski und Mitelman zu gründen. In dieser Angelegenheit holte er sich bei Richter Romnicki Rat. Der Richter war von Zeit zu Zeit sein Kunde, doch nicht im früheren Sinne. Er bestellte längst keine Anzüge mehr, sondern verkaufte Kunstwerke, hauptsächlich Bilder, die er in den vergangenen Jahrzehnten zusammengetragen hatte.
Hin und wieder ließ Kujawski auch Herrn Pawełek ein bißchen verdienen, der bei den Transaktionen vermittelte, obgleich der Schneider wußte, daß Herr Pawełek weniger Ahnung in Kunstfragen hatte als er selbst. Denn Kujawski hatte eine angeborene künstlerische Sensibilität, durch seine Hände gingen zahlreiche schöne und wertvolle Gegenstände, er kaufte sogar von den dummen deutschen Offizieren zartes Porzellan, Leuchter, Miniaturen. Er liebte es, die Deutschen zu übertölpeln, und tat das gern, weil er wußte, daß die Gegenstände, die sie ihm zum Kauf anboten, fast immer aus Raubzügen stammten.
Im Grunde fand Kujawski eine gewisse Harmonie in seinem Leben während des Krieges. Von Kunstwerken umgeben zu sein, empfand er als wohltuend. Das Geld machte ihn selbstbewußt. Er verkehrte nun als gern gesehener Gast in sehr kultivierten Häusern. Elegante Damen reichten ihm die Hand zum Kuß und behandelten ihn mit nachsichtiger Sympathie. Dennoch wußte er, daß er sich nicht allzu viel erlauben durfte, weil er trotz allem der Schneider blieb, während diese Leute zur Elite der Nation gehörten, gebildet, belesen, frei, stolz
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