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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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zum Abschied klopfte ihm Wiktor Suchowiak auf die Backe. Zärtlich, aber auf männliche Weise, es schmerzte. Im Herzen schmerzte es Lolo. Er blieb in seinem Arbeitszimmer zurück wie vor zwanzig Jahren im Hauseingang auf der Miodowa-Straße, mit dem Gefühl der Ohnmacht, der Erniedrigung und des furchtbaren Hasses.
      Wiktor Suchowiak übernahm auf Anraten Lolos eine besser bezahlte Arbeit in einem anderen Betrieb. Sie sahen einander nie wieder.
      Nach einigen Jahren wurde Wiktor Suchowiak Invalide und bezog eine bescheidene Rente. Er litt an Knochentuberkulose und bewegte sich nur mühsam. Er bewohnte ein kleines Zimmer in einem alten und feuchten Haus der Vorstadt. Seine einzige Unterhaltung bestand darin, vom Fenster auf die Straße hinauszuschauen. Doch die war arm an Verkehr. Er betrachtete junge Frauen mit Kindern, Männer, die zur Arbeit oder zur Kneipe eilten, zänkische, neugierige Weiber, die auf dem kleinen Platz schwatzten. Manchmal ging er auch hinaus auf den kleinen Platz, setzte sich auf eine Bank, schwatzte mit den alten Leuten. Doch er fühlte sich immer schlechter und verließ das Haus nur selten.
    Abends, wenn er lange nicht einschlafen konnte, weinte er leise. Er wußte nicht warum. Doch das Weinen verschaffte ihm Erleichterung. Wenn er dann spät in der Nacht einschlief, träumte ihm der Krieg und die Okkupation. Die Menschen träumen oft von den besten Zeiten ihres Lebens. Er gehörte nicht zu den Ausnahmen, obgleich kein Freudianer von ihm Nutzen gehabt hätte. Als Wiktor nämlich von einem Schrank träumte, bedeutete das keineswegs, er hätte Lust, eine Frau durchzuziehen, vielmehr saß in diesem Schrank ein Jude und sagte zu Wiktor Suchowiak: ›Ich danke Ihnen für den großen Gefallen‹. Und Wiktor antwortete würdevoll: ›Nicht aus Liebe zu Ihnen habe ich das getan, Herr Pinkus, ich bin vielmehr gut bezahlt worden. Und jetzt sitzen Sie still, denn die Frau, die hier wohnt, ist ängstlich wie Hitlers Arsch!‹
    Wer in diesem Land hätte nicht gern in seinen späten Jahren so süße Träume? Doch nur Wiktor Suchowiak hatte sie und vielleicht noch ein paar andere Leute. Solche Träume meiden im allgemeinen gut ernährte Veteranen. Der kluge, allwissende Morpheus verteilt sie auf verarmte Lehrerinnen in kleinen Städten, alte, emeritierte Richter, Ingenieure, Eisenbahner oder Gärtner und mitunter auch auf Marktfrauen und Banditen aus der Vorkriegszeit. Doch was diese Leute einst getan haben, erfährt man nur, wenn man aufmerksam den Worten lauscht, die sie hin und wieder im Schlaf sprechen.

10
    D er Schneider Apolinary Kujawski lebte in einer Fünf-Zimmer-Wohnung, zweiter Stock, Vorderseite, mit Balkon, auf der Marszałkowska-Straße. In den Zimmern standen hohe Kachelöfen, einer davon im Salon, von besonderer Schönheit, verziert mit Rosetten und Gußeisentürchen in Form eines Palasttores. Im Parterre desselben Hauses hatte Kujawski sein etwas dunkles, aber geräumiges ›Atelier‹, das aus drei Zimmern bestand. Im ersten empfing er seine Kunden und nahm Maß, während die Kunden sich im Spiegel betrachteten. Tiefer im ›Atelier‹ arbeiteten seine Gesellen, surrten die SingerNähmaschinen von morgens bis abends. Dampf stieg auf in dichten Wolken, wenn die schweren, heißen Bügeleisen das feuchte Leinen auf die Kleidungsstücke preßten.
      Der Schneider Kujawski war ein redlicher Mann von geringer Körpergröße, etwas kahlköpfig, kurzsichtig, begabt mit einer Seele nicht ohne romantische Höhenflüge, einem schlichten Geist und kleinen, wohlgeformten Füßen. Er besaß eine Neigung zu erlesener Eleganz, wie ein Mensch sie pflegt, der vor dem Großen Krieg in einem Städtchen des ehemaligen Gouvernements Płock inmitten einer Mehrheit von Alttestamentarischen erzogen worden ist. Er trug dunkle Anzüge und steife Kragen, gemusterte Krawatten und gamslederne Schuhe von gelblicher Farbe, außerdem bunte Westen, grüne oder kirschrote, der Stimmung entsprechend, die in seinem Herzen herrschte. Am Ringfinger der rechten Hand trug er einen Siegelring mit Stein, am kleinen Finger der linken einen Rubinring.
    Kujawski war nämlich ein sehr wohlhabender Mann und erfreute sich unter den Offizieren der Wehrmacht, zum Teil auch der deutschen Sicherheitskräfte des Ruhms, der beste Hosenschneider Warschaus zu sein. Sogar aus Lemberg kamen Offiziere zu ihm, um Reit- oder Ausgehhosen zu bestellen.
      Kujawski war kein Mann von großem persönlichen Mut, deshalb bemühte er sich nicht,

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