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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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nicht, und ich rannte zu ihr, um ihr zu helfen.«
    »Und dieser Dankewitz oder wie der heißt, war der die ganze Zeit dabei?«
    »Nein«, sagte ich. »Er war verschwunden, und dann kam er wieder raus, als ich schon fast bei Deborah war.«
    »Mhm. Wie lange war er verschwunden?«
    »Vielleicht zehn Sekunden. Warum ist das wichtig?«
    Coulter nahm den Zahnstocher aus dem Mund und betrachtete ihn. Offensichtlich schien er nun selbst ihm widerlich, denn nach einem kurzen Moment des Grübelns warf er ihn in Richtung meines Papierkorbs. Selbstverständlich verfehlte er ihn. »Hier liegt das Problem«, erklärte er. »Die Fingerabdrücke auf dem Messer gehören nicht zu ihm.«
    Vor ungefähr einem Jahr war mir ein Weisheitszahn entfernt worden, und der Zahnarzt hatte mir Lachgas gegeben. Einen kurzen Moment spürte ich, wie mich eine ähnliche Welle benommener Albernheit durchströmte. »Die – hrrm – Fingerabdrücke …?«, gelang es mir schließlich zu stammeln.
    »Ja«, erwiderte er nach einem kleinen Schluck aus der Limoflasche. »Wir haben sie bei seiner Verhaftung genommen«, er wischte sich mit dem Handgelenk über den Mund, »und dann mit denen auf dem Messergriff verglichen. Und hallo, sie passen nicht. Deshalb denke ich mir, verdammte Scheiße, ja?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Also dachte ich, was, wenn es
zwei
waren, denn wie könnte es sonst sein, stimmt’s?« Er zuckte die Achseln und zog, traurig für uns alle, einen weiteren Zahnstocher aus seiner Brusttasche und begann darauf herumzukauen. »Und darum muss ich Sie noch einmal bitten, mir zu sagen, was Sie gesehen haben.«
    Er musterte mich mit einer Miene vollkommen konzentrierter Blödheit, und ich musste die Augen schließen, um überhaupt denken zu können.
    Noch einmal ließ ich die Szene in meiner Erinnerung ablaufen:
    Deborah wartet vor der Tür, die Tür geht auf. Deborah zeigt ihre Marke, dann plötzlich stürzt sie – doch in meiner Erinnerung sah ich nur das Profil des Mannes, ohne irgendwelche Einzelheiten. Die Tür öffnet sich, Deborah zeigt ihre Marke, das Profil – stopp, da war es. Ein zusätzliches Detail. Dunkles Haar und ein helles Hemd, doch das traf auf die halbe Welt zu, einschließlich Doncevic, dem ich kurze Zeit später einen Tritt gegen den Kopf verpasst hatte.
    Ich schlug die Augen auf. »Ich glaube, es war derselbe Mann«, sagte ich, und obgleich ich aus irgendeinem Grund zauderte, ihm mehr zu erzählen, tat ich es doch. Wie unattraktiv auch immer, er war schließlich ein Vertreter der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des American Way of Life. »Aber um ehrlich zu sein, ganz sicher bin ich nicht. Es ging zu schnell.«
    Coulter kaute auf dem Zahnstocher. Ich sah zu, wie er ihn von einem Mundwinkel in den anderen schob, während er sich daran zu erinnern versuchte, wie man sprach. »Demnach hätten es zwei sein können«, meinte er schließlich.
    »Das nehme ich an«, stimmte ich ihm zu.
    »Einer der beiden sticht sie nieder, rennt hinein, Scheiße, was soll ich machen. Und der andere denkt, Scheiße, rennt raus, und Sie verpassen ihm eine.«
    »Durchaus möglich«, sagte ich.
    »Zwei?«, wiederholte er.
    Ich sah keinen Sinn darin, dieselbe Frage zweimal zu beantworten, deshalb blieb ich einfach ruhig sitzen und sah dem Zahnstocher beim Wackeln zu. Wenn ich zuvor geglaubt hatte, von einem unangenehmen Rumpeln heimgesucht zu werden, war dies nichts gegen den Strudel des Unbehagens, der jetzt in mir Gestalt annahm. Wenn sich Doncevic’ Fingerabdrücke nicht auf dem Messer befanden, hatte er Deborah nicht niedergestochen; das war elementar, mein lieber Dexter. Und wenn er Deborah nicht niedergestochen hatte, war er unschuldig, und ich hatte einen gewaltigen Fehler begangen.
    Das hätte mich nicht stören dürfen. Dexter tut, was er tun muss, und der einzige Grund, warum er es denen antut, die es verdienen, ist Harrys Erziehung. Was den Dunklen Passagier anging, konnte genauso gut der Zufall entscheiden. Die Erleichterung bliebe dieselbe und wäre ebenso süß. Der Weg, den ich wähle, verdankt sich ausschließlich der von Harry auferlegten eisigen Logik des Messers.
    Doch es konnte sein, dass Harrys Stimme in mir tiefer verankert war, als ich jemals angenommen hatte, denn die Vorstellung von Doncevic’ möglicher Unschuld brachte mich erheblich ins Schleudern. Und noch ehe ich dieses unangenehme Gefühl in den Griff bekam, wurde mir bewusst, dass Coulter mich anstarrte.
    »Ja«, sagte ich, nicht im Geringsten sicher,

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