Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
schlimmer denn je.
Ihr fehlte die Kraft, sich wie gewohnt im Dampf von Schweiß und Schmutz zu reinigen. Und doch wollte und musste sie ins Becken – um endlich Gewissheit zu erlangen.
Dienstbare Geister hatten alles vorbereitet.
Warmes Wasser leckte ihre geschwollenen Knöchel, als sie die Stufen nach unten ging, umschmeichelte die aufgeschwemmten Waden, die blaugeäderten Schenkel, schließlich den schlaffen Bauch. Für ein paar Augenblicke wurden die Schmerzen erträglicher, dann jedoch kehrten sie unbarmherzig wieder zurück, spitzer und greller denn je zuvor.
Sie zuckte zurück, als die leicht gekräuselte Wasseroberfläche ihr Bild zurückwarf. Ihr ehemals feines Gesicht, von dem viele geschwärmt hatten, ähnelte inzwischen einem Hamster. Die Wangen waren schwer, und zwischen Nase und Mund hatten sich strenge Falten eingekerbt. Nur die Augen waren unverändert, groß und leuchtend blau unter dunkelblonden Brauen, ebenso wie ihre Finger, noch immer schlank und zart wie in längst vergangenen Augsburger Tagen.
An den Körper mochte sie nicht einmal denken, füllig und unbeweglich geworden, der ihr seit Jahren nichts als Kummer und Pein bereitete. Ihm war er schon lange keine Freude mehr, und seitdem verachtete auch sie diese Last, die sie mit sich herumzuschleppen hatte. Als habe ihr Leib beschlossen, sich für diese Missachtung zu rächen, schoss eine neue Schmerzwelle durch ihre Eingeweide. Sie krümmte sich, heilfroh, den steinernen Hocker erreicht zu haben, auf dessen hölzerne Sitzfläche sie sich schwerfällig sinken ließ.
War das Gift, das da in ihren Adern kreiste?
Der ätzende Hauch der Kränkungen, Drohungen und Schmähungen, die sie so lange hatte erdulden müssen?
Nicht einmal das warme Wasser, das sie nun bis zum Hals umfloss, vermochte jetzt noch Linderung zu schaffen. Stattdessen begannen die bemalten Tierfiguren ringsumher ein seltsames Eigenleben. Nattern, Krebse, Kröten und Echsen schienen nicht länger starr, sondern zuckten und zitterten, als wollten sie zu ihr ins Becken kriechen. Die Sackpfeifen, die den Springbrunnen vor dem Badfenster betrieben, ächzten und stöhnten dazu eine unheimliche Melodie, die sie verhöhnte.
Erschöpft schloss sie die Augen.
Plötzlich war das Holz verschwunden, und gleiches galt auch für Springbrunnen, Badewasser und all die bunten Figuren. Die Mauern von Ambras, ihr Zuflucht und Gefängnis zugleich, brachen auf. Aber es war nicht die Kühle des Bergfrühlings, die sie auf der Haut zu spüren glaubte, sondern etwas Lindes, ungemein Zärtliches, das sie als Wohltat empfand.
Mit einem Mal schienen Schwere und Schmerzen verflogen, ebenso wie Bitternis, Enttäuschung, Angst. Die Sorge um die Zukunft der Söhne war nicht länger ein Albtraum, der sie Nacht für Nacht quälte, bis die Vögel in den Wipfeln ihr frühes Lied begannen.
Jung war sie wieder, strahlend, voller Lebenslust. Nicht länger die huldvoll geadelte Freifrau von Zinnenberg, um Anerkennung durch den Kaiserhof bangend, sondern Philippine Welserin, die in einem duftigen Kleid leichtfüßig durch Augsburg lief …
Galega officinalis
auch genannt Bockskraut, Pockenraute, Suchtkraut, Pestilenzkraut
Positive Wirkung: Treibt Wasser, regt Milchfluss an, soll gegen Pest wirken.
Negative Wirkung: Achtung: Liebeskraut – soll abhängig machen.
Kapitel I
GEISSRAUTE
Augsburg, April 1556
Sie liebte diese Stelle am Fluss , wo eine halbmondförmige Kiesbank in den Lech schnitt und ihr ermöglichte, das Ufer und damit auch die Stadt hinter sich zu lassen. Nach viel zu kühlen, regenreichen Wochen war dieser Frühlingstag sonnig und ungewöhnlich warm. Verglichen mit den schweren Wollstoffen, die sie den ganzen Winter über tragen musste, war das blaue Leinenkleid, das sie heute angezogen hatte, reinste Wohltat – und doch war ihr plötzlich viel zu heiß. Schuhe und Strümpfe hatte sie schon abgestreift und streckte nun vorsichtig den Fuß in das klare, schnell fließende Nass.
Das Wasser war so eisig, dass ihr die Luft wegblieb und sie blitzschnell zurück auf den Kies sprang. Der Wunsch, wie eine Nixe in die Fluten zu tauchen, war mit einem Schlag verschwunden. Dann jedoch wagte sie einen zweiten Versuch, und jetzt gelang es ihr, eine Weile länger auszuhalten. Sie beobachtete, wie kleine Wellen über ihre Haut liefen, die sich langsam rosig verfärbte, und genoss die Erfrischung.
Nichts zog Philippine zurück nach Hause, obwohl sie die Aufgaben der Mutter erledigt
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