Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
hatte. Seit dem letzten Herbst schlich sich bisweilen etwas Missmutiges zwischen ihnen ein, was sie bedauerte, wenngleich sie es nicht zu ändern vermochte. Vielleicht lag es daran, dass nun auch Georg fort war, dessen freundliche Gegenwart sie beide ebenso vermissten wie seinen rabenschwarzen Humor. Drei Jahre jünger, war er ihr stets am nächsten gewesen, anders als die kreuzbrave Regine, die tat, was man von ihr verlangte, oder Karl, der zweite Bruder, der rasch aus der Haut fahren konnte, wenn etwas nicht nach seinem Willen ging. Jedes der Geschwister hatte inzwischen den eigenen Weg beschritten, bis auf sie, die noch immer im Dachgeschoss des alten Peutingerhauses hockte, als habe das Leben sie übersehen.
Die Zeit begann, ihr Feind zu werden, dessen war Philippine sich bewusst.
Und dass die Leute redeten, merkte sie Tag für Tag.
Aber sollte sie deshalb in der Stube hocken bleiben, während draußen die Sonne so einladend lachte?
Ihr Weidenkorb, den sie in einiger Entfernung abgestellt hatte, war gefüllt mit den Pflanzen, die Anna Welser ihr zu sammeln aufgetragen hatte. Hatte sie sich früher noch an Skizzen orientieren müssen, um das Gewünschte heimzubringen, so war sie inzwischen selbst zur Kundigen geworden. Sogar ausgefallene Gewächse erkannte sie in der Regel auf Anhieb und wusste, wie man sie in der Krankenpflege anwenden konnte. Heute waren ein paar ganz besondere Schätze darunter: Neben Spitzwegerich für die Bronchien und Giersch, der Bettlägerigen die verlorene Kraft zurückgibt, lagen das blutreinigende Barbarakraut. Dazu kamen Silberdisteln, die harntreibend wirkten, Vogelmiere, die beim Abstillen unterstützte, Scharbockskraut, von dem nur die zarten Spitzen genossen werden durften, um Skorbut vorzubeugen, sowie Geißraute, die als liebesanregend und milchfördernd galt.
Inzwischen waren ihre Füße eiskalt und der Kopf wieder klar.
Während drüben im Auenwald Rotkehlchen und Pirol um die Wette trillerten, streckte Philippine sich auf dem Kiesbett aus und schloss die Augen. Allerdings war der steinige Untergrund alles andere als bequem. Sie spürte, wie sie unter den Brüsten zu schwitzen begann, wie eng der Rock einschnitt, weil sie alle über die Wintermonate zu viel und zu fett gegessen hatten, und lockerte Mieder und Rockband, um sich freier zu fühlen. Wäre es nach ihr gegangen, so hätte sie sich am liebsten alles vom Leib gerissen, um in der Sonne zu baden, doch das kam natürlich nicht infrage. Nacktheit galt als sündhaft und verworfen, schon gar außerhalb der eigenen vier Wände. Sogar in die Wanne stieg man nur in der passenden Bekleidung. Manchmal allerdings, in der Stille der nächtlichen Schlafkammer, wagte sie doch, das lästige Hemd abzustreifen und sich zu liebkosen, um ihre Einsamkeit zu vertreiben.
Sofort waren sie wieder zur Stelle, jene halsbrecherischen Träume, gegen die sie machtlos war!
Selbst nach all der Zeit bekam sie ihn nicht aus dem Kopf. Und aus dem Herzen erst recht nicht, obwohl jedes Hoffen sinnlos war.
Als Erzherzog war Ferdinand von Habsburg zum Herrschen geboren und konnte folglich auch nur eine Frau heiraten, die ihm ebenbürtig war. Welten lagen zwischen einem Geschlecht, das Kaiser und Könige hervorgebracht hatte, und der Kaufmannsfamilie, der sie entstammte, mochte sie auch noch so angesehen sein.
Doch was nützte diese Erkenntnis?
Das Herz gehorchte seiner eigenen Sprache, ließ sich weder täuschen noch verbiegen. Verglichen mit Ferdinand waren die Männer, die bislang um sie angehalten hatten, ausnahmslos so austauschbar und farblos, dass sie Philippine wie Schattenfiguren erschienen, die sich von einem Windhauch umblasen ließen.
Hatte sie alle nicht nur Kalkül und Berechnung dazu getrieben, ihr einen Antrag zu machen, anstatt Liebe und Hochachtung? Und waren sie nicht allzu hurtig von dannen gezogen, als offen lag, wie mager ihre Mitgift ausfallen würde?
Das Fazit fiel erschreckend aus.
Der, den sie begehrte, war so unerreichbar wie die Milchstraße am Himmelszelt.
Bewerber, die halbwegs angemessen gewesen wären, hatten aus Geiz oder Feigheit das Weite gesucht.
Jene aber, die unter ihr standen, galten als ›Habnitse‹ und kamen somit erst gar nicht für sie infrage.
Inzwischen kannte halb Augsburg die wahren Gründe, aus denen Franz Welser sich nach Ravensburg abgesetzt hatte. Ihr Vater galt als Schönling, der mehr und mehr mit den Evangelischen liebäugelte, was manche ihm zutiefst verübelten. Von seinem mangelnden
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