Die schöne Teufelin
annehmen.
Gedankenverloren strich sich Jane mit dem fedrigen Ende ihrer Schreibfeder über die Wange. Sie wusste auch nicht, was sie von dem verschlossenen Zimmer halten sollte. Es ließ ihr einfach keine Ruhe, dass jemand darin gewesen sein musste. Es konnte natürlich auch eines der Dienstmädchen gewesen sein, um dort Staub zu wischen. Aber zum Höhepunkt des Balles? Unwahrscheinlich.
Es wäre ganz sicher nicht schicklich, wenn sie in ein Zimmer ginge, welches zu betreten ihr Onkel ihnen allen strengstens untersagt hatte – aber Jane hatte die Nase gestrichen voll von ›schicklich‹. Es war ihr nie klar gewesen, welches Maß an Freiheit sie in der Einsamkeit des Witwenanwesens genossen hatte, bis sie nach London gekommen war, um die Rolle einer verzärtelten Dame der guten Gesellschaft einzunehmen. Trotz der Mühsal, mit einem winzigen Einkommen ihr Leben auf dem Land zu fristen, erinnerte sie sich jetzt voller Wehmut an die Tage, als sie sich frei über die Felder und Moore hatte bewegen können. Hier konnte sie noch nicht einmal den Fuß auf die Straße setzen – oder in ein abgeschlossenes Zimmer des Hauses -, ohne um Erlaubnis zu bitten.
Früher hätte sie sich davon nicht abhalten lassen. Aber Mutter hatte so viel für sie getan – und sie schuldete ihr absoluten Gehorsam.
Aber dann …
Mutter würde wissen wollen, was sich in dem abgesperrten Zimmer verbarg, oder? Sollte Jane nicht jedes winzige Detail ihres täglichen Lebens mit ihr teilen? Und wenn sie diese kuriose Sache mit dem verschlossenen Zimmer herausfinden und Mutter erzählen würde, hätte sie kein so schlechtes Gewissen, ihre Begegnung mit Mr Damont zu verschweigen.
Sie wusste, dass sie sich gerade selbst um Kopf und Kragen argumentierte, aber Jane lächelte still vor sich hin. Endlich war mal etwas los!
5
Nachdem er nach Hause zurückgekehrt war – in sein eigenes, schuldenfreies Haus! -, ließen Ethan die erstaunlichen Offenbarungen des Vormittags nicht zur Ruhe kommen.
Collis Tremayne war ein Spion der Krone. Er war gerade dabei, sich einen Drink einzuschenken, um diese Information zu verdauen, da schoss ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf und ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren. »Ich will verdammt sein!«, flüsterte er.
Auch Rose Tremayne musste eine Spionin sein.
Nach einer Weile goss er sich weiter ein. Dann ließ er sein Glas gedankenverloren auf dem Tablett stehen und entfernte sich ein paar Schritte.
Natürlich, er hatte es gewusst. Er hatte es geahnt !
Und doch war es etwas völlig anderes, Gewissheit zu haben. Die lebhafte, geschmeidige Rose … eine Spionin!
Nun, es war gut, dass aus ihnen beiden nichts geworden war. Ethan wollte nichts mit Spionen zu tun haben, für welche Seite auch immer sie arbeiteten, vielen Dank auch. Das waren doch allesamt Verrückte.
Was um alles in der Welt ließ jemanden sein Leben für etwas so Abstraktes wie Patriotismus aufs Spiel setzen? Oh, England war nicht schlecht. Er wollte England ganz sicher nicht schaden, aber er sah auch keinen Grund, warum er England helfen sollte. Was hatte das Land schließlich für ihn getan?
Nein, diese Art von bizarrem Schwarz-weiß-Denken mochte für Leute wie Etheridge und Collis, die sich den Gesetzen der Ehrbarkeit unterwarfen, in Ordnung sein, aber
Ethan mochte seine Grauschattierungen. Warum sollte er kämpfen, wenn er einfach davonlaufen konnte?
Ethan schritt durch die vordere Eingangshalle zur Treppe. Er würde heute Abend ausgehen. Er ging jeden Abend aus. Er zog es der bleiernen Stille seines eigenen Hauses vor. Wie üblich lag ein ganzer Stapel von Einladungskarten auf dem Tischchen in der Eingangshalle. Neugierig hielt Ethan inne und ging sie durch. Er suchte eine ganz bestimmte und fürchtete sich, sie tatsächlich zu finden.
Und da war sie: »Lord und Lady Maywell geben sich die Ehre, Mr Ethan Damont zu einem Abend mit Kartenspiel einzuladen. Das Abendessen wird um neun Uhr serviert …«
Ethan verspürte ein unangenehmes Prickeln im Nacken und ließ die Karte aus schwerem Papier auf den Tisch sinken. Er würde nicht hingehen, und damit hätte sich die Sache erledigt. Er schuldete niemandem einen Gefallen außer sich selbst. Da konnte Etheridge sagen, was er wollte.
Als er die Treppe hinaufging, um sich für den Abend anzukleiden, ließ ihn ein Gedanke nicht zur Ruhe kommen. Rose Tremayne … eine Spionin.
Wer würde es für möglich halten, dass eine Frau ein Spion war?
Ethan war Rose zum ersten Mal begegnet, als
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