Die schöne Teufelin
Augenränder und alles anderen. Sie sah aus wie alles, was er sich je gewünscht hatte und wusste, dass er es nie bekommen würde.
Ethan lächelte sie zärtlich an. »Du siehst …«
»Oh! Ich hab alles gesehn, wisst ihr?« Sie drehten sich um und starrten die Alte in der Nachbarzelle an. Sie hatte die Arme über ihrer flachen Brust verschränkt. Ihre Augen funkelten listig. »Was hält mich davon ab, dass ich dem Wärter sag, was ihr gemacht habt?«
Ethan stockte der Atem. Verdammte Scheiße! Die alte Kuh würde sie alle verraten.
Bess warf den Kopf in den Nacken. »Vielleicht die Tatsache, dass du total verrückt bist?«
Jane hob eine Hand, um Bess Einhalt zu gebieten. Der Wärter war jetzt nah genug, dass er sie hören konnte. Sie beugte sich näher an den Käfig der anderen Frau. Ethan konnte sie kaum verstehen – irgendetwas über »Brot« und »jeden Tag«.
Die Frau nickte und schnaubte in Bess’ Richtung, die als Antwort die Augen verdrehte. »Ja, ja, die Alte kann mein Brot haben«, stimmte sie zu. Dann verkroch sie sich in den hintersten Winkel des Käfigs und nahm die abweisende Stellung
ein, in der Jane den Großteil des Tages verharrt hatte. Der Wärter näherte sich, würdigte sie aber keines Blickes.
»Ich muss Sie jetzt bitten zu gehen, Sir«, sagte er zögernd.
Ethan ließ sich nicht täuschen. Er zögerte völlig zu Recht. Vorhin hatte Ethan ihm eine halbe Krone zugesteckt, um mit seiner Liebsten allein gelassen zu werden. Wenn er ihm noch mehr zustecken würde, könnte der Mann misstrauisch werden und annehmen, dass hier mehr vor sich ging als öffentliche Zügellosigkeit. Deshalb nickte Ethan nur und reichte Jane seinen Arm.
Ihre Hand zitterte, als sie sich um seinen Bizeps legte. Er bemerkte, dass sie den Kopf geneigt hielt und ihre Brust herausstreckte. Der Wärter schien das zu würdigen zu wissen, und sie gingen an ihm vorbei, ohne dass er sie zurückhielt.
Ethan erwartete jeden Moment, dass sie entdeckt wurden. Die Treppe hinunter, die untere Galerie entlang zu der schweren Doppeltür in den Vorraum. Niemand schrie. Die beiden Statuen ragten über ihnen auf wie die letzten Wächter, die ihre Flucht verhindern wollten. Ethan legte seine Hand auf die von Jane, als sie durch die Tür des Krankenhauses gingen und auf die oberste Stufe der schmierigen Marmortreppe vor dem Eingang traten.
Es überraschte ihn, dass die fahle Nachmittagssonne immer noch recht hoch am Himmel stand. Was ihm wie Stunden voller Anspannung vorgekommen war, waren in Wirklichkeit nur wenige Minuten gewesen.
Und jetzt war Jane frei – oder zumindest würde sie es sein, wenn sie durch diese bedrohliche Pforte gefahren waren.
Uri wartete mit der Kutsche in der Auffahrt, eine Hand
bereits am Verschlag. Ethan fühlte, wie Jane an seinem Arm zog. Er konnte das Drängen in ihr spüren, ihren Wunsch, zur Kutsche zu rennen und ihre Flucht hinter sich zu bringen.
»Ganz ruhig, meine Liebe«, sagte er beruhigend. »Du bist eine gelangweilte Halbweltdame, erinnerst du dich? Du hast alle Zeit der Welt, um die Auffahrt zu überqueren.«
Er spürte, wie sie tief einatmete, und ihr Griff an seinem Arm wurde schwächer. Sie schritt die Stufen hinab und gab sich dabei unendlich gelangweilt. Ihre Vorstellung war reif für die Bühne.
Uri verneigte sich und half ihr in die Kutsche. Ethan nickte dem Diener zu, als er hinter ihr einstieg. Jeeves vertraute Uri, und aus irgendeinem mysteriösen Grund vertraute Ethan Jeeves.
»Bring uns nach Hause«, befahl er.
Uri nickte. Bald darauf setzte sich die Kutsche in Bewegung. Ethan senkte den Blick und stellte fest, dass Jane irgendwann in den letzten Minuten seine Hand genommen hatte. Ihre Finger waren ineinander verschränkt. Obgleich sie mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck aus dem Fenster schaute, umklammerten ihre Finger die seinen mit der ganzen Kraft ihrer Angst.
Ethan dachte nach. Sie hatte bei ihrer Flucht aus dem Käfig und dem Anziehen des Kleides so gefasst gewirkt, dass er fast vergessen hatte, wie sehr sie sich ängstigen musste.
Und das völlig zu Recht. Bedlam war kein Ort für eine Dame. Und auch nicht für Bess, wenn man es recht betrachtete.
Sie fuhren ruhig unter den geschwungenen eisernen Torbogen, und der Pförtner schloss hinter ihnen das Tor, sperrte
die gesunde Welt für einen weiteren Tag aus der des Wahnsinns aus.
Beim tiefen Klicken des sich schließenden Tores zuckte Jane leicht zusammen, aber ansonsten blieb sie still, als sie sich dem Fluss und der
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