Die schoene Tote im alten Schlachthof
ist mit Helena Claus?«, wollte Ferschweiler nach kurzem
Überlegen wissen.
De Boer schien auf diese Frage gewartet zu haben. »Da sieht es etwas
anders aus. Sie hat uns gegenüber gesagt, sie habe im Kino an der
Treviris-Passage zusammen mit Otmar Wolters einen Film gesehen. Ich habe mir
ihre Eintrittskarten noch einmal näher angesehen.«
»Und?«, wollte Ferschweiler ungeduldig wissen.
»Helena Claus hat sich ihre Karte nicht erst gegen sieben direkt vor
Vorstellungsbeginn, sondern bereits um vierzehn Uhr dreißig mit ihrer EC -Karte am Vorverkaufsschalter gekauft. Aber die hätte
sie gar nicht einlösen können. Denn an jenem Abend ist der Harrison-Ford-Film
wegen Problemen mit dem Abspielgerät ausgefallen. Helena Claus kann also zur
Tatzeit nicht mit Wolters im Kino gewesen sein.«
Ferschweiler überlegte. »Dann haben sich beide gegenseitig ein Alibi
gegeben?«
»So würde ich das nicht sehen, Rudi. Ich würde eher sagen, Helena
Claus hat dadurch, dass sie Wolters ein Alibi gab, sich selbst eins
verschafft.«
Das stimmte; Ferschweiler erinnerte sich. Wolters hatte Helena Claus
nicht widersprochen, als diese von ihrem gemeinsamen Kinobesuch am Tatabend
erzählt hatte.
»Aber Wolters brauchte überhaupt kein Alibi, er hatte ja mit dem
Mord nichts zu tun«, wandte Ferschweiler ein.
»Sie dafür aber umso mehr. Dass Wolters sich schließlich umgebracht
hat, dürfte ihr gut gepasst haben. So konnte er seine Aussage nicht mehr
widerrufen.«
»Aber warum hat Wolters ihr Alibi nicht widerlegt?«, fragte Ferschweiler.
»Das weiß ich nicht genau«, erwiderte de Boer. »Aber ich beginne so
langsam zu begreifen. Heute Morgen ist in unserem Büro seine Frau aufgetaucht,
um seinen Abschiedsbrief bei mir abzuholen. Bei ihrer Erscheinung und ihrem
Auftreten war ich sofort davon überzeugt, dass Wolters höllische Angst vor ihr
gehabt haben muss.«
»Dann meinte er das, was er in seinem Abschiedsbrief geschrieben
hat, tatsächlich ernst. Aber das erklärt immer noch nicht, warum er Helena
Claus gedeckt hat. Da Wolters tot ist, werden wir sie das wohl selber fragen
müssen.« Ferschweiler war trotz allem ungehalten. »Aber diese Informationen
kommen verdammt spät, Wim. Wenn du deine Arbeit vernünftig gemacht hättest,
dann wäre sicherlich einiges anders gelaufen.«
»Also, Rudi«, verteidigte sich de Boer. »Du hattest von Anfang an
Kafka im Visier. Und es gab dafür ja auch gute Gründe. Die Hinweise haben sich
dann ja auch verdichtet. Und nachdem du dich mit Simon kurzgeschlossen hast,
hat alles eine enorme Eigendynamik bekommen. Da hatte ich dann auch schlicht
keine Zeit mehr, weiterzurecherchieren. Außerdem gab es zunächst keinen Grund,
am Alibi von Helena Claus zu zweifeln …«
»Wie konnten wir nur so blind sein«, sagte Ferschweiler sichtlich
unzufrieden mit sich selbst. »Ich hatte gedacht, die Claus sei auch nur eine
von diesen Frauen, die nichts außer schön und verführerisch sein wollen. Aber
sie ist offenbar richtig durchtrieben. Verdammt, Wim, was war ich für ein
Idiot. Die Rosskämper und Kafka hatten niemals vorgehabt, Helena Claus mit nach
Luxemburg an die neue Akademie zu nehmen. Sie hat Kafka zwar die streng
vertraulichen Kundendaten der Trierer Akademie zugespielt und ihn auch in allen
anderen Belangen unterstützt. Aber zum Dank ist er dann mit einer anderen ins
Bett gestiegen.«
»Und Helena Claus wäre weiterhin die kleine Angestellte in Trier
geblieben«, ergänzte de Boer.
»Aber dann lass uns jetzt nicht weiter Zeit vergeuden.«
Ferschweiler versuchte, sich in seinem Krankenbett aufzusetzen. »Hilf mir mal,
Wim. Wir müssen sofort zurück nach Trier zur Kunstakademie und Helena Claus
aufhalten, bevor sie sich aus dem Staub machen kann.«
»Nix da, Chef. Du bist verletzt, du brauchst Ruhe. Die Kollegen und
ich machen das schon.«
Doch Ferschweiler war bereits aufgestanden und hielt schon seine
Hose in der Hand, die er aus dem Kleiderschrank dem Bett gegenüber genommen
hatte.
»Jetzt hilf mir endlich in die Hose, verflucht«, stöhnte er. Der Schmerz
in seiner Schulter nahm ihm kurz den Atem. Es fühlte sich wie tausend
Nadelstiche an. Doch er biss die Zähne zusammen, und mit de Boers Hilfe gelang
es ihm schließlich, sich anzuziehen.
Ferschweiler hatte keine Lust auf langwierige Diskussionen mit
Krankenschwestern und Ärzten, deshalb war er froh, dass ihnen niemand
begegnete, als sie die Station verließen und mit dem Fahrstuhl hinunter in die
Tiefgarage fuhren. De Boer
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