Die schoene Tote im alten Schlachthof
schaute nun aus dem Fenster. Offensichtlich hatte er Angst.
Ferschweiler wusste, dass er jetzt geduldig sein musste. Wolters zu drängen,
wäre kontraproduktiv. Also gab er ihm Zeit.
Langsam ging er um den Tisch herum, blickte ebenfalls aus dem
Fenster auf diverse rostige Eisenobjekte, die draußen in einem Beet
herumstanden, ließ seinen Blick anschließend über die Bilder an der Wand des
Besprechungsraumes wandern und setzte sich schließlich Wolters an den großen
Tisch gegenüber.
»Soll ich uns einen Kaffee holen?«, fragte er freundlich, allerdings
ohne große Hoffnung, die Gesprächssituation dadurch merklich zu verbessern.
Doch er hatte sich getäuscht. Wolters hob den Kopf und nickte.
»Ja«, sagte er mit zitternder Stimme, »einen Kaffee kann ich jetzt
gebrauchen. Das wäre gut.«
Also stand Ferschweiler wieder auf, öffnete die Tür und rief nach
Helena Claus, die auch umgehend erschien. Er bestellte zwei Tassen Kaffee mit
Milch und setzte sich wieder Wolters gegenüber. Helena Claus hörte man derweil
nebenan in der Küche werkeln.
»Also, Herr Wolters, in welcher Beziehung standen Sie zu Melanie
Rosskämper?«
Für einen Moment befürchtete Ferschweiler, Wolters würde wieder in
seine Lethargie zurückfallen, aber er blickte ihn geradeheraus an, die Hände
auf der Tischplatte wie zum Gebet gefaltet. Dann sagte er, zwar sehr leise,
aber doch deutlich vernehmbar:
»Ja, Sie haben recht. Ich war tatsächlich in sie verliebt. Aber bitte
versprechen Sie mir, dass meine Frau nichts davon erfährt. Es war nicht so, wie
Sie vielleicht denken oder wie Breesich, diese Sau, angedeutet hat. Es war rein
platonisch. Ich habe gespürt, dass wir verwandte Seelen waren. Aber das würde
meine Frau nicht verstehen.«
Ferschweiler glaubte prinzipiell nicht an rein platonische
Beziehungen zwischen einem Mann und einer Frau, war aber durchaus bereit, sich
eines Besseren belehren zu lassen. »Wie meinen Sie das, verwandte Seelen?«,
fragte er.
Wolters schwieg einen Augenblick. Sein Blick streifte umher. Dann
antwortete er mit fester Stimme: »Melanie und ich, wir hatten tatsächlich
großes Talent. Aber wir wurden von anderen kleingehalten. Sie von ihrem Mann,
diesem Kinderwunschwahrmacher, und ich von meiner Frau, die ebenfalls
Künstlerin ist. Wir beide wollten uns befreien, wollten endlich unserer Passion
folgen: malen, malen und noch einmal malen. Wir hatten so große Pläne …«
»Also waren Sie beide ein Paar?«
»Nein, so kann man das nicht sagen. Ein Paar waren wir nicht. Wir
waren einfach verwandte Seelen. Wir tickten gleich, in vielen Bereichen. Wir
hatten ähnliche Ideale, ähnliche Ziele.«
»Aber vorhin sagten Sie, Sie hätten die Verstorbene nicht näher
gekannt. Nun behaupten Sie etwas ganz anderes. Was kann ich Ihnen glauben?«
Ferschweiler versuchte, sein Gegenüber aus der Reserve locken.
»Vorhin, da hat mich doch ständig dieser Prolet provoziert. Stellen
Sie sich einmal vor: Der macht Kunst so, wie er durchs Leben geht – mit
dem Presslufthammer! Wie hätte ich denn eben ehrlich mit Ihnen über Melanie
reden können? Indem ich mich auf das gleiche Niveau herabbegebe wie dieser
Möchtegern-Don-Juan? Lieber Herr Ferschweiler, das werden Sie doch hoffentlich
nicht von mir erwarten, oder? Wissen Sie, ich komme auch aus der Großstadt, auch
aus dem Arbeitermilieu. Aber einer solchen Ausdrucksweise, solch fäkaler
Kraftausdrücke würde ich mich nie bedienen. Das ist absolut niveaulos, völlig
indiskutabel. Ganz zu schweigen von Breesichs Frauenbild.«
Wolters schüttelte angewidert den Kopf.
»Aber in einer Sache hat der sexsüchtige Breesich recht: Melanie hat
sich ausnutzen lassen und versucht, jede ihr gewährte Gunst durch Sex zu
vergelten. Sie fand, dass das eine ganz gute Art sei, all ihre Talente zu
entwickeln. Aber sie war damit nicht glücklich.«
»Und das wissen Sie so genau?«, fragte Ferschweiler. »Also haben Sie
und Melanie Rosskämper oft persönlich miteinander zu tun gehabt?«
»Nein«, antwortete Wolters mit weinerlicher Stimme, »wir haben immer
nur miteinander telefoniert.«
»Sie haben sich nie persönlich zu einem Gespräch getroffen?« Ferschweiler
war überrascht. »Auch nicht an der Kunstakademie?«
»Doch, hier schon. Und manchmal sind wir dann auch an der Mosel
spazieren gegangen oder hoch zur Mariensäule gewandert. Sie suchte meine Nähe,
wollte, dass ich ihr meine Galeristen in Köln und Berlin vorstelle, was ich
auch gern gemacht habe. Sie wollte auch, dass
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