Die schoene Tote im alten Schlachthof
wüsste«, antwortete er schließlich. »Der Weg ist
nicht wirklich gut beleuchtet, und in der dunklen Jahreszeit sind um diese Zeit
dort auch keine Touristen mehr mit ihren Fahrrädern unterwegs.« Dann schwieg er
nachdenklich.
Ferschweiler wollte schon sein Notizbuch schließen, als Wolters
sagte: »Richtig, da waren diese Obdachlosen. Die hängen oft unterhalb der alten
Lithowerkstatt rum und geben sich die Kante. Die waren gestern auch da. Haben
mich angemacht, mich als Arschloch und bürgerlichen Drecksack beschimpft.
Würden Sie die als Zeugen akzeptieren, Herr Kommissar?«
Ferschweiler nickte. »Ja, sicher. Ich werde dem nachgehen, Herr
Wolters.«
Vorerst, entschied Ferschweiler, würde der Künstler die Heimreise in
seine Heimstätte zu seiner herrischen Frau allerdings nicht antreten können.
»Herr Wolters«, sagte er abschließend. »Ich muss Sie bitten, sich
weiter zu unserer Verfügung zu halten. Sie dürfen Trier bis auf Weiteres nicht
verlassen. Bitte geben Sie mir Ihre Adresse hier in der Stadt.«
Schlagartig wurde Wolters kreidebleich und sprang von seinem Stuhl
auf. Seine Schulter begann wieder, unregelmäßig zu zucken.
»Sie verdächtigen doch nicht etwa mich?«, entfuhr es ihm voller
Entsetzen. »Ich habe sie geliebt, wirklich! Geliebt aus tiefstem Herzen. Wie
könnte ich dann …«
Ferschweiler gab dem Künstler keine Antwort. Resigniert sank dieser
auf seinem Stuhl zusammen und begann zu weinen.
»Herr Wolters.« Ferschweiler blieb hart. »Wir müssen erst einmal
alle Eventualitäten abklären. Bisher wissen wir noch nicht, ob es ein Unfall
war oder Mord. Aber wir werden bald Gewissheit haben. Und da wir männliche DNA am Leichnam von Frau Rosskämper gefunden haben,
dürften wir auch bald wissen, ob Sie mit Melanie Rosskämper nicht vielleicht
doch – anders als Sie behaupten – gestern noch intim gewesen sind.
Sie geben uns sicher freiwillig eine Speichelprobe, oder? Sie haben sie ja nur
platonisch geliebt.«
Wolters wurde panisch. »Was soll denn meine Frau denken? Oh Gott,
wenn sie es erfährt …« Flehend blickte er Ferschweiler an. »Herr
Kommissar, gibt es vielleicht nicht doch eine Möglichkeit, dass ich heute noch
nach Dessau fahren kann?«
Ferschweiler sah, dass der Künstler völlig verzweifelt war. Aber Wolters
war ein wichtiger Zeuge, vielleicht sogar ein möglicher Verdächtiger. Schließlich
hätte er ein Motiv gehabt: Er hatte sie geliebt, und sie hatte offenbar nur mit
ihm gespielt und gleichzeitig mit anderen angebandelt. Verschmähte Liebe
gepaart mit Eifersucht – ein stärkeres Mordmotiv konnte sich der Kommissar
kaum vorstellen. Zwar hatte Wolters für die Tatzeit ein Alibi; die Geschichte
mit den schimpfenden Obdachlosen schien Ferschweiler jedoch nicht besonders
belastbar. Er würde nach den Berbern suchen lassen, ob die sich allerdings
aufgrund ihres dauerhaften Alkoholkonsums überhaupt an Wolters erinnern würden,
bezweifelte er.
»Ich kann leider keine Ausnahme machen, Herr Wolters«, antwortete er
schließlich. »Halten Sie sich also bitte zu unserer Verfügung. Ich wünsche
Ihnen noch einen guten Tag.«
Ohne dem fassungslosen Künstler die Hand zu reichen, stand Ferschweiler
auf und verließ den Raum. Vor Helena Claus’ Büro blieb er stehen. Die Tür stand
offen. Frau Claus saß hinter ihrem Schreibtisch und arbeitete konzentriert an
ihrem Rechner. Als sie ihn bemerkte, fragte sie:
»Kann ich Ihnen noch behilflich sein?«
»Ja, vielleicht. Wissen Sie, ob Moni Weiß schon auf dem Gelände ist?
Ich müsste die Dame einmal sprechen.«
»Ja, sie ist schon da«, antwortete Helena Claus, die offensichtlich stets
gut informiert war. »Ich habe ihr auch schon – Ihr Einverständnis einfach
einmal vorausgesetzt –«, sie lächelte ihn offen an, »mitgeteilt, dass Sie
sie sicherlich so bald wie möglich werden sprechen wollen. Sie ist in der
Kunsthalle und arbeitet dort.«
»Vielen Dank«, sagte Ferschweiler, der so viel Voraussicht bei
seinem Kollegen de Boer manchmal vermisste. Er verließ die Verwaltung und ging
erneut hinüber zur Kunsthalle. Wolters saß immer noch im Besprechungsraum und
weinte. Sein Schluchzen war bis zur Eingangstür der Verwaltung zu hören.
Als Ferschweiler gerade die Mitte des Platzes zwischen
Verwaltungsgebäude und Kunsthalle erreicht hatte, bog der Wagen seines
Assistenten mit quietschenden Reifen auf den Hof des Akademiegeländes ein. Um
Haaresbreite verfehlte er dabei eine ältere Radfahrerin, die ihn laut
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