Die schoene Tote im alten Schlachthof
der Zunge lag, hinunter.
»Also, Wim, es ist ja wohl offensichtlich, dass der Mord an Melanie
Rosskämper irgendwie mit dem an Ulrike Kinzig zusammenhängen muss.«
»Die Kinzig findet die Rosskämper in einem der Ateliers in der
Kunstakademie«, rekapitulierte de Boer. »Sie hat dort als Putzfrau gearbeitet.
Und nun ist sie selbst ermordet worden. Wieso? Ob sie den Mord an Melanie
Rosskämper beobachtet hat?«
»Das könnte sein«, sagte Ferschweiler. »In dem Gespräch, das ich Freitagabend
mit ihr geführt habe, wirkte sie auf mich äußerst fahrig und nervös.«
»Was mich außerdem wundert«, fügte de Boer hinzu, »ist, dass sie in
Konz-Roscheid gelebt hat. Ich dachte ja immer, hier wohnen nur
Luxemburg-Pendler und Ärzte. Aber egal.«
»Lass uns später noch einmal in Ruhe über einen möglichen
Zusammenhang der beiden Fälle sprechen. Hat schon jemand Ulrike Kinzigs
Angehörige verständigt?«
»Nein, wir dachten, dass du vielleicht …«
»Schon gut, dann gib mir in Gottes Namen die Adresse«, entgegnete
Ferschweiler genervt. Feige ist er auch noch, dachte er. Wie soll aus dem bloß
ein gescheiter Ermittler werden?
Ulrike Kinzig hatte in einem der wenigen
Mehrfamilienhäuser in Roscheid gewohnt, einem Ortsteil der kleinen Trierer
Nachbarstadt Konz, den man auf dem Reißbrett entworfen hatte. In den späten
siebziger Jahren war hier ein von Einfamilien- und Reihenhäusern geprägtes
Wohngebiet entstanden, das aufgrund der guten Verkehrsanbindung ins nur
dreizehn Kilometer entfernte »Ländchen«, wie alle Luxemburg nannten, vor allem
bei Pendlern beliebt war. Dies hatte dazu geführt, dass die Häuserpreise
parallel zum Wirtschaftsboom im Großherzogtum in den letzten Jahren enorm gestiegen
waren.
Für Ferschweiler wäre diese Gegend nie zum Leben in Frage gekommen.
Ihm war sie – trotz der attraktiven Lage in fast unberührter Natur –
zu künstlich. Zu viele Neubauten, zu viele hinzugezogene Fremde, die sich nicht
für das Leben und die Traditionen an der Mosel interessierten. Jetzt, da er
Roscheid erreichte, wunderte er sich ebenfalls, dass die Putzfrau der
Kunstakademie ausgerechnet hier gelebt hatte. Was verdiente man denn so als
Reinigungskraft? Doch sicherlich kein Vermögen.
Als er an der Tür der Kinzigs klingelte, öffnete ihm ein leicht untersetzter
Mittfünfziger, der lediglich mit einem zerschlissenen Feinrippunterhemd und
einer ausgebeulten Jogginghose bekleidet war. Um die Hüfte herum war ihm die
Hose viel zu eng. Seine Füße steckten in weißen Birkenstockpantoffeln.
Ferschweiler fielen die vielen Tätowierungen des Mannes auf. Besonders stach
ihm der Skorpion auf dem rechten Oberarm ins Auge. Die Tätowierung reichte vom
Ellenbogen bis zum Schulterblatt.
»Guten Morgen, mein Name ist Rudolph Ferschweiler. Ich bin von der
Kripo Trier, Mordkommission«, stellte er sich vor. »Sind Sie Rolf Kinzig? Darf
ich reinkommen?«
»Wenn’s sein muss«, antworte der Mann missmutig und ging voran ins
Wohnzimmer.
Ferschweiler nahm auf einer schwarzen Ledercouch Platz. Fast hätte
er sich dabei auf eine schlummernde grau getigerte Katze gesetzt.
Offensichtlich waren die Kinzigs sehr tierliebe Menschen.
Lange Vorreden waren nicht Ferschweilers Sache. Er informierte Rolf
Kinzig kurz über den Tod seiner Frau und des Hundes. Dr. Süß, der ihm aus
irgendeinem Grund gewogene Polizeipräsident, hatte ihm einmal gesagt, er sei
oftmals etwas zu ruppig, er müsse mehr Feingefühl walten lassen. Aber wie denn?
Tot war tot, Ferschweiler wusste nicht, wie man jemandem den Tod eines
geliebten Menschen schonend hätte beibringen können.
Kinzig brach sofort in Tränen aus. Ferschweiler griff in seine
Jackentasche und reichte ihm ein Papiertaschentuch.
Nachdem sich Rolf Kinzig etwas beruhigt hatte, begann Ferschweiler
vorsichtig mit seiner Befragung. Er hatte in seinem nunmehr über zwanzig Jahre
währenden Berufsleben schon oft Menschen über das Ableben eines nahen, manchmal
mehr, manchmal weniger geliebten Angehörigen informieren müssen. Für ihn war es
nie zur Routine geworden. Kein Wunder, dass er auf de Boer sauer war. Dessen
Verhalten war reiner Egoismus, wie ihm schlagartig bewusst wurde.
Der Mann tat ihm wirklich leid. Ferschweiler fragte sich jedoch, worüber
Kinzig eigentlich mehr weinte: über den Tod seiner Frau oder über den seines
Hundes. Immer wieder flüsterte Kinzig den Namen »Gustav« vor sich hin.
Kinzig arbeitete, wie er dann berichtete, als Gabelstaplerfahrer bei
der
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