Die schoene Tote im alten Schlachthof
starke Allergikerin war?«,
fragte Ferschweiler weiter.
»Darüber hat sie meines Wissens mit niemandem gesprochen. Schwächen
zuzugeben war nicht gerade ihre Stärke. Von ihren Allergien gewusst haben
eigentlich nur ihre Familie und ich.«
»Aber dann war sie stets äußerst vorsichtig, oder?«
»Absolut, sie war mehr als vorsichtig. Ansonsten hätte sie sich gar
nicht im Leben bewegen können. Für die Aufbewahrung ihrer Malutensilien
benutzte sie beispielsweise einen Metallkoffer, der mit einem Zahlenschloss
gesichert war. Die Kombination hielt sie geheim, nicht einmal mir hat Melanie
sie verraten.««
Ferschweiler dachte nach. Ein tragisches Unglück war also wirklich
auszuschließen. Melanie Rosskämper hätte sicherlich nie Substanzen beim Malen
verwendet, die sie nicht vorher penibel geprüft hätte. Und das Walnussöl musste
am Abend der Tat selbst, kurz bevor sie mit dem Malen begonnen hatte, in den
Metallkoffer gelangt sein. Jemand musste also Zugang zum Atelier und einen
unbeobachteten Moment genutzt haben, als der Koffer bereits geöffnet war. Viele
Personen kamen dafür nicht in Frage. Eine Sache gab Ferschweiler allerdings
noch zu denken.
»Wussten Sie, dass Ihre Gattin schwanger war?«
»Ja, das wusste ich.« Dr. Rosskämper verzog bei dieser Frage keine
Miene.
»Und sind Sie der Vater?«
»Nein«, antwortete der Arzt. »Ich bin seit einer Mumps-Infektion mit
vierzehn Jahren zeugungsunfähig. Aber Melanie hatte sich über alles ein Kind
gewünscht. Und als Reproduktionsmediziner habe ich schnell die entsprechende
Lösung gefunden.«
»Von wem stammen denn, wenn ich fragen darf, die Spermien, die Sie –
wenn ich richtig annehme – zur Befruchtung genutzt haben?«
»Das dürfen Sie, nur müsste ich da in meinen Unterlagen nachsehen.«
»Wusste der Spender, dass er Vater wird?«
»Nein. Die Samenspenden werden mit einem Zahlencode versehen und
dann sofort eingefroren. Auch wenn die Spender somit anonym bleiben, ist es wie
bei einer Chiffreanzeige möglich, sie zu identifizieren. Viele Männer, gerade
Studenten, spenden ihren Samen des Geldes wegen. Die meisten von ihnen wollen
dann auch gar nicht wissen, was mit ihren Zellen passiert. Oder könnten Sie
sich vorstellen, in Ihrer Stadt ständig Ausschau halten zu müssen nach Kindern,
die Ihnen möglicherweise ähnlich sehen? Oder fürchten zu müssen, dass es
irgendwann an Ihrer Wohnungstür klingelt und jemand, den Sie noch nie zuvor
gesehen haben, ›Papa‹ zu Ihnen sagt?«
Ferschweiler musste innerlich grinsen. Aber er wunderte sich ein
wenig über die Offenheit des Arztes, stand sie doch in einem auffälligen
Widerspruch zu seiner deutlich zu bemerkenden Nervosität. Dr. Rosskämpers Hände
zitterten in einer Art, wie Ferschweiler es sonst nur bei den Berbern gesehen
hatte, die in Trier-West entweder auf den Steinen gegenüber vom »Standhaften
Legionär« vor dem Kaufland saßen oder sich an der Bushaltestelle Westbahnhof
auf ein »gepflegtes« Bier zusammenfanden.
»Wenn Sie wollen, dann schaue ich kurz in meinem Rechner nach und
gebe Ihnen die gewünschten Daten.«
Ferschweiler stimmte, obwohl es für ihn eigentlich keine Relevanz
hatte, zu. Man konnte ja nie wissen, vielleicht würde sich diese Information
später doch noch als wichtig erweisen.
Dr. Rosskämper verschwand die Treppe hinauf in den ersten Stock.
Ferschweiler blieb allein zurück und blickte sich um.
An der Wand hinter dem Sofa hingen zwei große Gemälde. Als
Ferschweiler sich ihnen zuwandte, wurde ihm schlagartig noch kälter. Zuerst
hatte er gedacht, es handele sich um abstrakte Kompositionen, aber beim näheren
Hinsehen erkannte er auf beiden Bildern gefesselte und komplett mit Bandagen
eingewickelte Menschen, auf dem einen Bild einen Mann, auf dem anderen eine
Frau. Beide hatten den Mund zum Schrei geöffnet, beide wirkten unendlich
hilflos. Ob Melanie Rosskämper diese Bilder gemalt hatte? Was musste nur mit
ihrem Seelenleben los gewesen sein?, fragte sich Ferschweiler.
»Melanie hatte wirklich ein außergewöhnliches Talent«, sagte Dr.
Rosskämper, der wieder im Wohnbereich aufgetaucht war. Ferschweiler fuhr
zusammen. Er hatte ihn nicht kommen hören.
»Und sie war auf dem besten Weg, sich auf dem internationalen
Kunstmarkt zu etablieren. Die Kunstakademie hat ihr dabei sehr geholfen.«
»Das glaube ich gern«, erwiderte Ferschweiler, immer noch benommen
von der Wirkung der beiden Gemälde. »Aber wenn sie so talentiert war, warum hat
sie dann
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