Die schoene Tote im alten Schlachthof
erwiderte Gorges, lächelte frech und stand auf.
»Um das zu erfahren, müssen Sie mich schon vorladen. Grüß Gott, Herr
Kommissar.«
Und er entschwand unter dem großen Lärm seines zurückgeschobenen
Stuhles, nicht ohne sein Tablett ordnungsgemäß auf dem Fließband bei der
Geschirrrückgabe abgestellt zu haben. Berthold würde sich freuen.
Tätowierter Fisch, dachte Ferschweiler. Auf den von Gorges erwähnten
Blog müsste er einmal de Boer ansetzen, um zu erfahren, was so über Bertholds
Küche geschrieben wurde.
Er rief im Büro an und sagte Bescheid, dass er heute nicht mehr
vorbeikommen würde, de Boer aber Gorges für den nächsten Morgen aufs Präsidium
bestellen solle. Er wollte doch mal sehen, wer hier die Hosen anhatte …
Heute würde er schon früh zu Rosi gehen und ihr ein wenig im »Standhaften
Legionär« zur Hand gehen. So viel Zeit musste sein.
SIEBEN
Als Ferschweiler am nächsten Morgen aus dem Fenster
schaute, konnte er den Fluss vor lauter Nebel nicht sehen. Nur gut, dass er die
Nacht bei Rosi verbracht hatte, in ihrer kleinen Wohnung direkt hinter dem
Schankraum des »Standhaften Legionärs«. Nächte bei Rosi waren für Ferschweiler
selten, doch zog er aus ihnen immer die Energie, die er benötigte, um dem
alltäglichen Wahnsinn standzuhalten. Und er war froh, dass Rosi ihm seinen
Ausflug zum Nageln neulich nicht übelgenommen hatte.
Sie war schon seit fünf Uhr aus dem Haus – wie immer hatte der
Großmarkt gerufen, und dieser Ruf war gnadenlos. Still und einsam war es zu
dieser Zeit im »Standhaften Legionär«. Das einzige Geräusch, das den Raum
erfüllte, war das Zischen der Kaffeemaschine. Ferschweiler saß in der Ecke
neben dem Flipper und dem unsinnige Melodien piependen Spielautomaten und kaute
an einem Brötchen mit Mettwurst und Käse, das Rosi ihm noch hingestellt hatte.
Der Tag begann also schon mal schlecht: Mettwurst und Käse! Was für eine
Kombination.
Als er den »Standhaften Legionär« verließ, um zur Kunstakademie zu
gehen – das Brötchen lag ihm schon jetzt schwer im Magen –, dachte er
über sein Leben als Polizist nach. Es gab Tage, da hing ihm alles zum Hals
heraus. Ständig dieses Graben und Wühlen in den Dingen anderer. Ständig dieses
»Aber nein, Herr Kommissar, gewiss nicht«, nur um dann im Verhör drei Stunden
später unter Tränen alles zu gestehen. Vielleicht sollte er es wie sein Cousin
machen und einfach abhauen, in den Süden. Aber was sollte er machen? Trier war
nun einmal seine Stadt, und es waren noch einige
Jahre hin bis zu seiner Pensionierung.
Als er das Gelände des ehemaligen Schlachthofs betrat, stand Helena
Claus vor dem Eingang der Verwaltung und begrüßte ihn mit einem Lächeln.
»Guten Morgen, Herr Ferschweiler. Schön, dass Sie schon so früh
kommen. Ich habe Ihnen eine Menge zu erzählen.«
Auch das noch. Die ewig gleiche Kombination: hübsch und geschwätzig.
Was für ein Glück hatte er doch mit Rosi.
»Ja, Moien«, presste er heraus. »Kann ich wohl einen Kaffee haben?«
»Aber selbstverständlich. Kommen Sie mit in mein Büro. Da können wir
ungestört reden. Mein Kollege und die Chefin kommen erst so gegen zehn.«
Ferschweiler folgte Helena Claus in das Gebäude der ehemaligen
Schlachthofverwaltung. Er musste plötzlich daran denken, wie er einmal beim
Direktor des Schlachthofs hatte vorstellig werden müssen, weil er und Rolf-Dieter
Graz gemeinsam in der Freibank Kutteln für seine Mutter, die viele aufgrund
ihres kleinen Alkoholsproblems die »blaue Käthe« nannten, gestohlen hatten.
Aber es war damals glimpflich ausgegangen. Der Direktor hatte ihnen nur eine
längere Standpauke gehalten und sie dann sogar mit ein paar Kilo
Fleischabfällen nach Hause geschickt. Aber diese Zeiten lagen lange zurück. Im
Flur der heutigen Verwaltung hingen Bilder von mit E-Gitarre rockenden Gören
und Plakate, die für Aktzeichnen und diverse Vorsorgeuntersuchungen ab fünfzig
warben.
Ferschweiler hatte langsam genug von der Akademie und ihren
Künstlern, für ihn war dies eine völlig fremde Welt. Konnte man an so einem Ort
tatsächlich arbeiten? Helena Claus konnte, davon war er angesichts ihrer
ständig guten Laune überzeugt. Sie ließ sich auf ihrem Drehstuhl nieder und
öffnete behände ihr dunkles Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte.
»Ich mache Ihnen einen Kaffee, genau so, wie Sie ihn gestern auch
getrunken haben«, sagte sie augenzwinkernd. Offensichtlich wollte sie Eindruck
bei ihm schinden. Dabei
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