Die schoene Tote im alten Schlachthof
war er mindestens zehn Jahre älter als sie.
»Ja, danke«, sagte Ferschweiler. »Aber weniger Milch wäre auch in
Ordnung gewesen. Ich nehme meinen Kaffee rehbraun, nicht weiß.«
»Oh, das tut mir leid. Dann weiß ich ja Bescheid – rehbraun«,
gluckste sie und begann, sich an der Kaffeemaschine zu schaffen zu machen.
Ferschweiler sah genervt an die Decke. »Was haben Sie mir denn so Sensationelles
mitzuteilen?«, fragte er etwas unfreundlich. Eigentlich war sie eine nette
Frau, aber das spielte jetzt keine Rolle.
»Ich habe in den letzten Tagen und Wochen nur so einige Beobachtungen
gemacht. Die könnten Sie vielleicht im Zusammenhang mit Ihren Ermittlungen
interessieren.«
»Na, dann erzählen Sie mal.«
Helena Claus war an ihren Schreibtisch getreten und nestelte nervös
an einem Kugelschreiber herum. Die Selbstsicherheit, die sie eben noch zur
Schau getragen hatte, schien ihr angesichts Ferschweilers Stimmung schlagartig
abhanden gekommen zu sein. Dann sprudelte es plötzlich nur so aus ihr heraus.
Zunächst stotternd, dann mit immer klarerer Stimme erzählte sie, ihr sei aufgefallen,
dass seit einiger Zeit mehrere Teilnehmer, die schon seit Jahren regelmäßig an
den Kursen der Kunstakademie teilnahmen, Stammkunden quasi, nicht mehr
erschienen. Kommentarlos. Sonst gebe es immer lange Diskussionen mit den
Dozenten darüber, was man an der Akademie verbessern könnte, wer sich von wem
ungerecht behandelt fühlte und so weiter.
Das Übliche eben, dachte Ferschweiler. Warum sollten die in der Welt
der Kunst es auch besser haben als er im öffentlichen Dienst?
Aber Helena Claus war noch nicht am Ende. Ungebremst redete sie
weiter über die Probleme der Akademie und das, was ihr an angeblich Wichtigem
aufgefallen war. Sie erzählte von ausbleibenden Finanzmitteln, neurotischen
Künstlern und ihren Befindlichkeiten, von Problemen bezüglich der Lage des
Akademiegeländes und den immer wieder angestellten Überlegungen, die Akademie
stärker an die Teile der Stadt jenseits des Flusses anzubinden.
Warum wollten Frauen eigentlich immerzu ein gutes Bild von sich selbst
vermitteln? Warum wollten sie einem immer alles recht machen? Wer verlangte es
denn von ihnen? Er, da war Ferschweiler sich sicher, zumindest nicht.
Helena Claus erzählte währenddessen weiter.
»Vor einigen Wochen habe ich in der Trier-Galerie eine langjährige
Teilnehmerin getroffen, zu der ich immer ein sehr gutes Verhältnis hatte. Sie
heißt Silvia Meyer-Schütze.«
Wie lang sollte diese Erinnerungsarbeit noch dauern? Was wollte
Helena Claus eigentlich von ihm? Sie könnte ihn auch einfach fragen, ob sie
einmal irgendwo gemeinsam auf eine Porz Viez einkehren könnten. Natürlich nicht
in Trier, das wäre Ferschweilers Bedingung, Rosi musste davon ja nicht
unbedingt erfahren. Aber er verwarf diese Idee schnell wieder.
»Auch Silvia ist seit Monaten nicht mehr zu den Kursen erschienen.
Umso überraschter war ich, sie plötzlich in der Innenstadt zu treffen. Die
Silvia wohnt nämlich gar nicht in Trier, sondern in Esslingen am Neckar. Ihr
Mann ist ein hohes Tier bei Daimler.«
Die Akademie war also doch eine Beschäftigungsanstalt für gut
betuchte Witwen und vermögende Damen der »besseren« Gesellschaft. Bewohner von
seinem Kiez fand man hier sicherlich keine. Danach musste er einmal fragen.
»Wissen Sie, Herr Ferschweiler«, fuhr Helena Claus mit leuchtenden
Augen fort, »Silvia malt schon sehr lange bei uns und hat immer die Kurse von
Laszlo Kafka, unserem Top-Dozenten, besucht.«
»Top-Dozent?«, unterbrach sie Ferschweiler mit fragendem Blick.
»Na ja, Laszlo Kafka ist der Star unter unseren Dozenten. Seine
Kurse sind immer, aber auch wirklich immer, ausgebucht. Und die Wartelisten
sind unglaublich lang. Er könnte mehr als doppelt so viele Kursen anbieten, ja
eigentlich eine ganze Kunstakademie allein betreiben.«
Unruhig rutschte Helena Claus auf ihrem Bürostuhl hin und her.
»Das Programm ist noch nicht gedruckt, die Termine noch nicht im
Internet veröffentlicht, da sind die Plätze bei ihm schon alle weg. Und die
Nachrückerlisten sind lang.«
»Können Sie mir das erklären?«, fragte Ferschweiler.
»Wie das halt so ist«, entgegnete sie. »Er sieht wahnsinnig gut aus,
er hat phantastische didaktische Fähigkeiten …« Hier lächelte sie kurz,
doch Ferschweiler hatte es bemerkt. Derartige Regungen entgingen ihm nicht,
dazu war er schon zu lange im Geschäft. Hier schien noch etwas mehr als nur
professionelle
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