Die schoene Tote im alten Schlachthof
Sexshops und Erotikkinos sowie einige schummrige
Raucherkneipen und Striplokale mit bedeutungsvoll klingenden Namen reihten sich
hier aneinander. Ferschweiler hatte nie verstanden, warum sich gerade in dieser
Gegend der Kunstverein »Aktuelle Kunst« angesiedelt hatte. Vom Image dieser
Straße würde er auf keinen Fall profitieren können, aber vielleicht waren wenigstens
die Mieten niedrig. Warum allerdings der Fachbereich Psychologie der
Universität hier residierte, das konnte Ferschweiler sich gut herleiten. Ob
seine Überlegungen auch den Tatsachen entsprachen, darüber hätte er erst einmal
weitere Nachforschungen anstellen müssen.
Das dreistöckige Haus, in dem Laszlo Kafka, oder wie auch immer er
nun hieß, wohnte, stand dunkel am Ende der Straße in Trier-West. Im Sommer war
dies eigentlich eine bevölkerte Gegend, doch an diesem Novembervormittag war
die Straße wie leer gefegt. Kein Mensch war zu sehen.
Als Ferschweiler und de Boer vor dem Haus parkten, erkannten sie
erst das Ausmaß der ganzen Tragödie. Das Haus hatte seine besten Zeiten
offensichtlich schon lange hinter sich: Die Fassade schien seit Jahrzehnten
keine Farbe mehr gesehen zu haben. An vielen Stellen bröckelte bereits der
Putz. Die vor sich hin faulende hölzerne Eingangstür stand trotz der
Novemberkälte sperrangelweit offen.
Ein Blick durch die Tür offenbarte, dass es auch im Inneren nicht
besser war. Die Tür zum Kellerabgang war eingetreten und hing schief in den
Angeln. Einige kohlrabenschwarze Flecken auf dem Boden deuteten darauf hin,
dass vor nicht allzu langer Zeit im Treppenhaus etwas gebrannt haben musste.
Ferschweiler wurde bei einem solchen Anblick immer nachdenklich. Wieso konnte
so etwas in seinem Revier existieren, hier, knapp zweihundert Meter von seiner
eigenen Bleibe entfernt? Was war nur mit dem Stadtteil seiner Jugend passiert?
Keiner der Briefkästen war mehr intakt, einige davon hatte man offenkundig
aufgebrochen. Von den sechs Klingelschildern trugen nur noch drei
Namensschilder.
»Kafka steht da nirgends«, stellte de Boer fest. »Residiert unser
Top-Dozent etwa inkognito?«
»Die Adresse stimmt auf jeden Fall. Helena Claus sagte mir vorhin am
Telefon, dass sie ihm regelmäßig Briefe an diese Adresse schicke, und noch nie
sei etwas zurückgekommen.«
»Dann müssen wir wohl etwas allgemeiner ansetzen«, sagte de Boer und
drückte auf alle Klingeln gleichzeitig.
In der ersten Etage und im Erdgeschoss ging jeweils ein Fenster auf.
Oben streckte ein etwa sechzigjähriger Mann seinen nackten, stark behaarten
Oberkörper nach draußen, ein Stockwerk unter ihm erschien das Gesicht einer
vielleicht Zwanzigjährigen, grell geschminkt und die Ohren voller
Piercingringe.
»Was gibbet denn?«, wollte der Mann mit benebelt wirkendem Blick und
deutlich lallender Stimme wissen.
»Seid ihr vonne SWT ?«, fragte das
Mädchen aggressiv.
»Polizei«, sagte de Boer und hielt beiden seinen Dienstausweis
entgegen. »Wir hätten da ein paar Fragen.«
»Ist richtig, dass ihr mal kommt und die Göre da unten kontrolliert.
Der Lärm ist ja nicht zum Aushalten«, lallte es von oben.
»Halt die Fresse, Opa«, rief die junge Frau, deren nachlässig
geschlossene pinkfarbene Trainingsjacke einen Blick auf ihr Dekolleté
ermöglichte. »Mach’s dir doch selbst mit deinen Flaschen, du alter Daos. Kannst
dir gut aanen biejeln, aber sonst auch nix.« Und zu den beiden Polizisten: »Ich
krieg Grief, wenn ich den seh, diesen Hondsfodt.«
»Langsam, langsam«, versuchte Ferschweiler den anscheinend schon
länger schwelenden Konflikt zwischen den beiden zumindest für einen kurzen
Moment zu entschärfen. »Wir haben nur ein paar Fragen zu diesem Mann.«
Ferschweiler hielt eine Fotografie von Kafka hoch, die er aus dem
Jahresprogramm der Kunstakademie vergrößert hatte.
»Kann nix sehen«, erklang es von oben. »Hab mein Brill nicht auf.«
»Was hat der denn gemacht?«, wollte die junge Frau wissen.
»Kennen Sie ihn denn?«, ging Ferschweiler über ihre Frage hinweg.
»Ja, der Kerl wohnt hier. Neben dem alten Suffkopp da oben im ersten
Stock.« Voller Verachtung blickte sie kurz zu ihrem Nachbarn hoch. »Is aber
nich mein Typ.«
Soso, dachte sich Ferschweiler.
»Er nennt sich selbst Kafka. Komischer Familienname. Was wollt ihr
Schnüffler denn von dem?««
»Das hat Sie nicht zu interessieren. Wissen Sie, ob Herr Kafka jetzt
gerade zu Hause ist?« De Boer zeigte sich von der abfälligen Flapsigkeit der
jungen Frau völlig
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