Die schoene Tote im alten Schlachthof
auf den Schreibtisch. Dr. Süß hatte auf einem
der Besucherstühle Platz genommen und schien sich regelrecht darauf zu freuen,
einmal wieder an konkreter Ermittlungsarbeit beteiligt zu sein.
»Die Personalabteilung von Arcelor«, begann de Boer, »wo Rolf Kinzig
und der Unbekannte auf dem Foto früher einmal gearbeitet haben, hat mir
mitgeteilt, dass seinerzeit ein gewisser Manfred Bolski als Werkstudent im
Stahlwerk beschäftigt gewesen sei. Er hat für neun Wochen in der Schlosserei
des Kaltwalzwerks im Planarchiv gearbeitet. Eine Sekretärin aus der
Materialbeschaffung der Schlosserei konnte sich sogar noch daran erinnern, dass
Kinzig und Bolski immer die Pausen zusammen verbracht haben. Bolskis Papiere
und Zeugnisse seien alle in Ordnung gewesen, versicherte man mir. In der
medizinischen Akte, die bei der Eignungsuntersuchung durch den Werksarzt vor
Bolskis Einstellung angelegt wurde, steht, dass Bolski einen Meter siebzig groß
ist.«
»Also könnten Bolski und Kafka ein und dieselbe Person sein?« Der
Polizeipräsident fand sichtlich Gefallen an der ganzen Sache.
»Gemach, gemach, Chef«, sagte de Boer. »So einfach ist es nicht.
Denn in gesamt Luxemburg gab es in jener Zeit keinen Manfred Bolski. Allerdings
lebte im nahen Perl bis 1989 ein Mann gleichen Namens. Dieser Bolski war aber
einen Meter siebenundachtzig groß und ist mittlerweile tot. Ich habe die
Kollegen in Perl kontaktiert, und sie waren so nett, mir einiges an
Informationen, darunter Namen und Telefonnummern von Angehörigen Bolskis, aus
dem Archiv zukommen zu lassen. Sogar ein Foto der Grabstelle haben sie
mitgeschickt.«
De Boer blätterte in seinen Unterlagen. »Die mittlerweile einzige
noch lebende Verwandte, eine Cousine zweiten Grades, pflegt das Grab bis heute.
Mit ihr habe ich ebenfalls telefoniert. Sie hat mir gesagt, dass nach dem Tod
ihres Cousins dessen ganze Ersparnisse weg gewesen seien. Sie wusste, dass
Bolski sein ganzes Geld in Gold investiert hatte, darunter auch einen größeren
Lottogewinn von 1984 – es waren knapp zweihunderttausend Mark. Er selbst
lebte relativ sparsam, quasi nur für sein Auto, das er allerdings seit dem
Verlust seines Führerscheins wegen Trunkenheit am Steuer nicht mehr fahren
durfte. Von dem Gold aber war, als die Cousine danach suchte, im Gegensatz zu
dem Auto nichts mehr da. Und sie wusste, dass Bolski es in seiner Wohnung
versteckt hatte. Denn Banken gegenüber war er wohl überaus misstrauisch.«
»Aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«, fragte Dr. Süß.
»Ehemalige Nachbarn, mit denen ich ebenfalls telefoniert habe«,
sprach de Boer weiter, ohne auf die Frage von Dr. Süß zu reagieren, »berichteten
zudem übereinstimmend, dass ein paar Wochen vor Bolskis Tod ein junger Mann bei
ihm eingezogen sei. Bemerkenswert fanden alle, dass dieser Mann sogar Bolskis
Benz fahren durfte, was in all den Jahren zuvor nie jemand anderes gedurft
hatte als Bolski selbst. Dann, kurz vor dem Tod Bolskis, war der junge Mann
plötzlich verschwunden. Die Todesursache bei Bolski war übrigens laut amtlichem
Totenschein akutes Leberversagen. Der Mann hat angeblich wie ein Loch gesoffen
und zusätzlich noch einer ausgeprägten Tablettensucht gefrönt. Ein
Fremdverschulden haben die Kollegen von der Gerichtsmedizin jedenfalls nicht
feststellen können.«
»Also könnte der Mann auf dem Foto der Mann sein, der bei Bolski
gewohnt und der vermutlich dessen Namen angenommen hat.« Dr. Süß dachte
offensichtlich mit. »Aber warum hat Bolski ihn bei sich wohnen lassen?«
»Das habe ich mich auch gefragt«, sagte de Boer. »Aber da Bolski als
homosexuell galt, ist zu vermuten, dass die beiden eine Beziehung miteinander
hatten.«
De Boer wollte fortfahren, doch Ferschweiler unterbrach ihn.
»Und das Gold hätte dieser junge Mann einfach an sich nehmen können,
genauso wie auch Bolskis Personenstandsurkunden inklusive Pass, Personalausweis
und Führerschein …«
»Richtig, und da sich Kafka und Bolski zumindest vom Gesicht her
sehr ähnlich sahen, hätte er vielleicht sogar Bolskis Personalausweis nutzen
können. Zumindest bei mir hat noch nie jemand wirklich die Angaben zu Größe und
Augenfarbe kontrolliert«, sagte de Boer. »Diese amtlichen Dokumente dürften für
ihn auch recht hilfreich gewesen sein, denn der ›falsche‹ Bolski wollte
Karriere im Milieu machen. Und die hat er dann auch gemacht. Ein gewisses
Startkapital konnte dabei sicherlich sehr hilfreich sein.« De Boer grinste.
»Und
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