Die schoene Tote im alten Schlachthof
können.«
»Was weiß ich denn, Rudi? Ich bin nur ein alter Leichenfledderer
kurz vor dem Zustand altes Eisen.«
»Dank dir, du alter Boxeschösser, dass ich dein Telefon benutzen
durfte«, sagte Ferschweiler augenzwinkernd zu Quint, nachdem er sich von
Wingertszahn-Lichtmeß verabschiedet und aufgelegt hatte, und legte ihm
freundschaftlich einen Arm um die Schulter. »Gönn dir noch ein Stubbi auf meine
Kosten. Wir sehen uns.«
Ferschweiler zog seinen Mantel an, grüßte freundlich in die kleine
Runde der anwesenden Trinker und entschwand in die Nacht. Es war bereits wieder
neblig geworden. Die heraufziehende Kälte des nahenden Winters war deutlich zu
spüren.
Noch bevor Ferschweiler das Büro verlassen hatte, hatte er die
Angaben zu Kennzeichen und Fabrikat des Luxemburger Wagens an seine Kollegen
weitergeleitet, die einen Abgleich mit dem zentralen Verkehrsregister machen
sollten. Da kurzfristig mit keiner Antwort zu rechnen war, ging Ferschweiler
nicht noch einmal ins Büro, sondern fuhr mit dem Taxi nach Hause in die Dauner
Straße, wo er möglichst schnell ins Bett kommen wollte. Er war völlig erledigt.
Dunkel ragte das mit braunen, bereits deutlich in Mitleidenschaft
gezogenen Eternitplatten flächenfüllend bedeckte Hochhaus vor ihm auf, in dem
er schon jahrelang, seit er bei der blauen Käthe ausgezogen war, seine Wohnung
hatte. Nur die kleine elektrische Funzel neben dem monumentalen Klingelschild
mit seinen insgesamt sechsundvierzig Namen spendete ein wenig Licht. Als
Ferschweiler den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, knallte es hinter ihm gewaltig.
Erschrocken drehte er sich um. Keine drei Meter von ihm entfernt knisterten die
Reste eines alten Röhrenfernsehers auf den Waschbetonplatten des Gehwegs.
So etwas hatte Ferschweiler zuletzt Silvester 1991 in Prag erlebt,
als er einen Freund von Interpol besucht hatte und feststellen musste, dass die
Tschechen in Ermangelung von Böllern und Feuerwerksraketen Geschirr und anderes
aus den Fenstern ihrer Vorstadthochhäuser auf das Pflaster donnern ließen, um
das kommende Jahr zu begrüßen. Eingeweihte wüssten dies, so sein Freund damals.
Für Touristen hingegen konnte es tödlich sein.
Aber hier? Zudem war erst November.
Vorsichtig trat Ferschweiler unter der Deckung des überdachten
Eingangs hervor und schaute an der Fassade des Wohnblocks nach oben. Überall
Satellitenschüsseln und Wäschespinnen, aber nirgendwo brannte Licht, außer bei
seinen direkten Nachbarn, den Rachs. Bei denen standen alle Fenster
sperrangelweit offen. Harte, dröhnende Musik war zu hören.
Nein, nicht auch das noch. Warum mussten gerade seine Nachbarn die
schlimmsten und renitentesten Mieter im ganzen Bunker sein? Warum musste er
nachts ständig an die Wand seines Schlafzimmers klopfen, wenn nebenan wieder
bei enormer Lautstärke die Probleme des Tages diskutiert wurden oder sonst
etwas passierte?
Aber ihm war heute nicht nach weiteren Konflikten zumute. Er steckte
den Schlüssel ins Haustürschloss und hoffte, dass im Kühlschrank vielleicht
noch eine Flasche Riesling auf ihn wartete.
Im Foyer roch es muffig. Post hatte er keine bekommen. Gott sei
Dank. Da beide Aufzüge seit geraumer Zeit nur unregelmäßig liefen, die
Wohnungsbaugenossenschaft sich in dieser Angelegenheit aber äußerst geduldig
zeigte, dauerte es zumeist etwas länger, bis sich eine der Kabinen zeigte.
Heute ging es allerdings überraschend schnell, aber als sich die Türen
öffneten, glaubte Ferschweiler seinen Augen nicht zu trauen. Vor ihm saß,
zusammengekauert in einer Ecke des versifften Fahrstuhls, weinend die Tochter
seiner Nachbarn.
»Denise«, sprach Ferschweiler sie vorsichtig an. »Was ist passiert?«
Das Mädchen rührte sich kaum, gab nur kurze Laute von sich, die
Ferschweiler nicht verstand.
»Komm, ich bring dich in meine Wohnung. Da bist du sicher.«
»Ey, Alter, fass mich nich an, verpiss dich«, stieß das Mädchen hervor,
sprang auf und rannte an Ferschweiler vorbei aus dem Haus. Ferschweiler wollte
hinterher, als aus dem Treppenhaus der Vater des Mädchens geschossen kam, im
zerschlissenen Trainingsanzug und mit beflecktem Hemd, vor Erregung tiefrot im
fülligen Gesicht.
»Halt du dich da raus, du Hewerling«, rief er mit erhobener Faust in
Richtung Ferschweiler, als er ihn erblickt hatte. »Dich können wir hier jetzt
gar nicht gebrauchen. Zieh Leine, du Arsch!«
Für Ferschweiler war diese Situation nicht neu, vielmehr war sie
fast schon alltäglich. So oft hatte
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