Die schoene und der Lord
bereit. Catriona fühlte sich ganz wie ein Fuchs, der sich der Meute gegenübersieht und, jeder Fluchtmöglichkeit beraubt, das Unvermeidliche erwartet.
Er glich seinem Porträt aufs Haar - mit einer sehr auffälligen Ausnahme. Seine Augen, die Falkenaugen, die sie schon beim ersten Mal so gefesselt hatten, waren irgendwie anders, nicht annähernd so faszinierend. Es kam ihr merkwürdig vor, daß sie offensichtlich nicht auf sie gerichtet waren, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Statt dessen blickten sie starr geradeaus auf ein leeres Stück Wand.
»Ich kann Sie atmen hören«, sagte er dann, und beim so plötzlichen Klang seiner Stimme schrak sie zusammen. Es war eine feste Stimme, die sich Gehör verschaffte und Gehorsam erwartete. »Versuchen Sie bloß nicht, unbemerkt aus dem Raum zu huschen. Ich weiß, daß Sie hier sind, und jetzt nennen Sie mir sofort Ihren Namen.«
Da wurde Catriona klar, warum er sie nicht ansah und so merkwürdig gegen die leere Wand starrte.
Er war blind.
»Sie haben genau zehn Sekunden, um sich zu erkennen zu geben, sonst finde ich heraus, wer Sie sind, und entlasse Sie.« Er hielt sie für eine Dienstbotin, wofür auch sonst, da er sie ja nicht sehen konnte? In Anbetracht dessen konnte er unmöglich wissen, wer sie wirklich war. Catriona sah hinüber zur Tür, die auf den Gang führte und noch offenstand. Kurz erwog sie, hinauszuhuschen und über alle Berge zu sein, bevor er jemanden herbeirufen konnte. Sie wollte schon darauf zu eilen, aber dann schaute sie ihn noch einmal an und blieb stehen. Etwas an ihm, in seinem Gesicht, ein Ausdruck von ohnmächtiger Wut und Verzweiflung, der so beredt aus der tiefen Furche in seiner Stirn sprach, veranlaßte sie zum Bleiben. Was mochte der Grund für den Schmerz sein, den er so unverhüllt zur Schau trug? Ohne erst darüber nachzudenken, sagte sie sanft: »Verzeihen Sie bitte mein Eindringen, Sir. Ich wußte nicht, daß jemand hier war.«
Bei diesen Worten ließ sein angestrengtes Stirnrunzeln ein wenig nach, und er wandte das Gesicht in ihre Richtung. Trotzdem aber sahen seine Augen sie noch immer nicht, denn sein Blick war nicht auf ihr Gesicht gerichtet, sondern verharrte auf Höhe ihrer Hände, die sie vor ihrem Körper gefaltet hielt.
»Sie haben mir immer noch nicht verraten, wer Sie sind«, sagte er mit etwas weniger lauter, aber immer noch einschüchternder Stimme.
»Ich gehöre nicht zu Ihrem Haushalt, Sir.«
Er schwieg kurz und sagte dann: »Wenn dem so ist, warum sind Sie dann hier?«
Catriona überlegte, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte, und sie kam zu dem Schluß, daß Ausreden ihre Lage nur noch verschlimmert hätten. »Ich bin hergekommen, um ein Buch herauszusuchen, das ich zu lesen begonnen habe. Daß jemand im Schloß Aufenthalt genommen hat, wußte ich nicht.« Er wartete kurz. »Dieses Buch, das Sie heraussuchen wollten, gehört es Ihnen?«
Catriona wand sich. »Nein.«
»Dann ist es also ein Buch, das dem Schloßbesitzer gehört?«
»Ja.«
»Und Sie haben vermutlich die Erlaubnis des Besitzers, es auszuleihen?«
Catriona sah ihn verwirrt an. Wer war dieser Mann? War er nicht der Angelsachse, der englische Gutsherr von Rosmorigh? Aber dann erkannte sie, daß er das nicht sein konnte, denn hatte ihr Vater nicht gesagt, der Angelsachse sei schon älter, wesentlich älter als der Mann, der ihr jetzt gegenübersaß? Vielleicht war er ein Verwandter des Angelsachsen und hielt sich nur zu Besuch auf Rosmorigh aut.
Als sie keine Antwort gab, vermutete er — zu Recht natürlich —, daß sie in Wirklichkeit von niemandem Erlaubnis hatte, sich hier aufzuhalten. »Die meisten würden Ihr Eindringen unbefugtes Betreten nennen, Miss.«
»Ich habe nichts beschädigt, Sir. Ich komme bloß manchmal her, um in den Büchern zu lesen. Man empfindet es als eine solche Vergeudung, so viele Bücher, und nie ist jemand hier, der sie liest. Ich habe wirklich nichts Böses im Schilde geführt.«
»Dann sind Sie also heute nicht zum ersten und auch nicht erst zum zweiten Mal hier?«
Catriona zögerte kurz. »Nein, Sir.«
Er schwieg ein Weilchen, wahrscheinlich, um über sein weiteres Vorgehen gegen sie zu entscheiden. Würde er sie festnehmen und in den Schuldturm sperren lassen? Sie dachte an ein paar Fälle, von denen sie wußte, Kleinbauern, die man an diesen Ort gebracht hatte und die nie wieder aufgetaucht waren. Was wäre, wenn man sie fortbrächte und sie ihre Familie nie wiedersähe?
Ganz in Gedanken
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