Die schoene und der Lord
weiter hinaus. »Morgens ist es sonst selten so klar. Meistens ist die
Sonne von dichten Wolken verdeckt.« Sie hielt kurz inne, um den Anblick noch ein wenig auf sich wirken zu lassen, und fügte dann hinzu: »Die Lichtreflexionen auf der Wasseroberfläche sehen aus wie blinkende Sterne in einer trüben Nacht.«
Als Catriona sich umdrehte und ihn wieder ansah, hatte seine Miene sich ein klein wenig entspannt. »Soll ich Ihnen jetzt das Innere des Raums beschreiben?«
»Bitte.«
Catriona fing bei den Fenstern an und beschrieb die dunkle Eichenholztäfelung, welche die Wände vom Fußboden an zur Gänze bedeckte und sich an der Decke fortsetzte. Geschnitzte Basreliefs zierten ihre Oberfläche, die im Sonnenlicht einen warmen goldbraunen Schimmer verbreitete. Sie wurde gesäumt von den aus gleichem Holz gefertigten Bücherregalen, die eine sinnreiche Leiterkonstruktion überragten, von der aus man eine Empore erreichen konnte, die Zugang zu den höhergelegenen Regalborden gestattete.
»Dann gibt es hier also eine ganze Menge Bücher?« fragte er.
»Oh ja. Und bis jetzt habe ich mir vielleicht erst die Hälfte davon angesehen.« Catriona zögerte kurz. »Es tut mir leid, daß ich hergekommen bin, ohne erst die Genehmigung des Besitzers einzuholen.«
Bei diesen Worten hätte er fast gelächelt. »Es ist schon gut. Ihr Geheimnis ist bei mir in guten Händen. Ich bin geneigt, Ihrer Meinung zuzustimmen, daß Bücher vergeudet sind, wenn niemand sie liest. Ich kenne viele Leute, die Hunderte von Büchern sammeln, ohne je einen Gedanken an ihren Inhalt zu verschwenden. Irgendwo meine ich einmal gelesen zu haben, daß ein Buch ohne Leser dasselbe ist wie ein Gemälde, das nie jemand sieht...«
Er verstummte abrupt, und sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck von Traurigkeit an. Damit spielte er natürlich auf seine Blindheit an. Kurz sann Catriona darüber nach und fuhr dann rasch mit ihrer Beschreibung des Raumes fort. »Der Schreibtisch ist riesengroß und besteht aus einem Holz, das mir unbekannt ist. Es ist honigfarben mit dunkleren Streifen und sieht sehr ungewöhnlich aus.«
»Man nennt es Zebraholz.«
»Zebraholz«, wiederholte Catriona, um sich den Namen einzuprägen, der ihr recht passend vorkam. »Der Schreibtisch steht in der Mitte des Raumes, so daß man die Aussicht durch die Fenster auch bewundern kann, wenn man dahinter sitzt.«
»Würden Sie bitte an den Tisch treten.«
Catriona sah ihn kurz an und kam seiner Bitte dann nach. »In Ordnung. Ich stehe jetzt dahinter.«
»Öffnen Sie die oberste Schublade.«
»Aber, Sir, dies ist doch nicht mein Schreibtisch.«
»Und es ist auch nicht Ihre Bibliothek. Da es sich aber um meinen Schreibtisch — und im übrigen auch meine Bibliothek — handelt, öffnen Sie bitte die oberste Schublade.« Ein kurzes Zögern. »Sie haben meine Erlaubnis.«
Robert lauschte, während das Mädchen sich an der Schublade versuchte. Auch ohne sein Sehvermögen wußte er genau, wie der Schreibtisch aussah. Sein Vater hatte das Stück bei einer der ersten Auktionen ersteigert, zu denen Robert ihn begleiten durfte. Es stammte aus dem Besitz eines exzentrischen preußischen Adligen, der den Schreibtisch nach seinen eigenen verschrobenen Angaben hatte anfertigen lassen. Das Ungetüm wies eine Unzahl geheimer Schubladen und Fächer auf und war so gearbeitet, daß sie infolge der verwirrenden Holzmaserung perfekt verborgen waren. Eines der Fächer wies sogar eine scherzhafte Vorrichtung auf, wie sich Robert jetzt entsann: wenn man es arglos zu öffnen versuchte, wurde man mit Tinte vollgespritzt.
Zugegeben, das Stück war außergewöhnlich, aber es war auch eine Monstrosität, ein wirklich häßliches Ungetüm. Roberts Mutter, la Duchesse, wie sie von allen genannt wurde, ihrem Ehemann eingeschlossen, war jedenfalls ganz entschieden dieser Ansicht. Den Männern von Christie’s, die es anlieferten, untersagte sie sogar, es ins Haus zu bringen. Roberts Vater war hinzugekommen, und darauf entspann sich dort mitten auf der Straße ein regelrechtes Scharmützel, während die Transportarbeiter verlegen dabeistanden und Passanten ihren Schritt verlangsamten, um einen Blick auf den Tumult zu werfen. Am Ende trug die Duchesse den Sieg davon, und man schaffte den Schreibtisch fort. Robert hatte sich oft gefragt, was wohl aus dem Ding geworden war, denn er wußte, welch exorbitanten Preis sein Vater dafür bezahlt hatte. Er dachte, das Stück sei längst weiterverkauft worden, denn seit jenem
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