Die Schöne und der Tod (1)
Geschichten vom Fernsehen. Sie mochten ihn, sie führten ihn freundlich ein in die fremde Welt, in die er sich gesetzt hatte, sie kümmerten sich um ihn. Sie haben ihm eine faire Chance gegeben. Doch August hat sie nicht angenommen. Anfangs kam er regelmäßig, war dankbar, bemühte sich, ein Teil der Gruppe zu werden, dann aber blieb er immer öfter weg. Er blieb fremd, obwohl sie ihn eingeladen hatten, einer von ihnen zu werden.
Er hebt die Flasche Schnaps vom Boden auf. August, wie er ausschenkt und trinkt. Seine Mutter streicht um ihn herum, ihr Gesicht sagt, dass sie sich Sorgen um ihren Sohn macht, dass sie ihm helfen möchte, aber sie weiß, sie muss ihn in Ruhe lassen. Fast lautlos kocht sie, unscheinbar, gebrochen, alt. Bald wird Max auch sie eingraben.
Er langweilt sich. Am liebsten würde er das Licht ausmachen, nicht mehr denken, nicht an August, nicht an Emma, an niemanden. Die fremde Trauer ist ihm gleichgültig, sie berührt ihn nicht. Max will Milch trinken mit Honig in seiner Küche, allein sein in seiner Wohnung, das Konzert hören, nicht Emma.
Sie fragt nach der Leiche. Wann der Bestatter so weit sein wird, wann sie ins Haus kommt. Wie selbstverständlich das alles ist, dass sie bald den Sarg die Stiege nach oben tragen werden, dass sie ihn im Wohnzimmer aufstellen werden, dass geweint wird, gebetet. Eine Hausaufbahrung, so wie es üblich ist im Dorf. Eine Tradition, die sich gehalten hat, der Brauch, sich von den Toten im vertrauten Rahmen zu verabschieden. Das halbe Dorf wird kommen, um am Sarg zu beten, um den Hinterbliebenen das Mitgefühl auszusprechen. Das war immer so und bleibt auch so, egal, ob die Leichen zu stinken beginnen im Hochsommer, ob der Geruch sich aus dem Sarg schleicht, ob alles nach Verwesung riecht, sie kommen in die Häuser und beten. Der Gestank gehört zum Tod, und der Tod zum Leben. Das weiß Max, seit er ein Kind ist.
Freunde dich mit ihm an, hat sein Vater gesagt. Dann kann er dir nichts anhaben.
Wie unrecht er hatte. Wie weh es tat, als er in der Holzkiste vor ihm lag und nichts mehr sagte. Wie hart es ihn getroffen hat, wie viele Flaschen er durch die Gegend geworfen hat, wie viel Schnaps in ihm verschwunden ist, wie viele Tränen auf den alten Mann gefallen sind, auf seine tote Haut. Wie er da lag, Bert Broll, kurz bevor der Deckel zuging. Max, wie er es nicht glauben wollte, immer wieder mit ihm sprach, ihn bat, wieder aufzuwachen. Dann das Dorf, das Weihwasser auf ihn spritzte, wie sie ins Haus kamen und mit ihm weinten. Der Tod hat auch Max niedergestreckt, obwohl er vertraut war mit ihm, obwohl er versuchte, ihm ein Freund zu sein. Es tat so weh und hörte so lange nicht auf. Der Tod ist stärker als er, mächtiger, ohne Erbarmen. Er nimmt sich, was er will. Das hatte ihm sein Vater nicht gesagt.
In der Kapelle im hinteren Teil des Friedhofs hängt ein Bild. Der Totentanz. Max stand als Kind oft stundenlang davor und schaute es an. Der Tod, wie er die Menschen holt, die Magd, den Arzt, den Bauern, wie er alle gleich behandelt, wie er sie aus dem Leben reißt, einfach so, das Skelett mit der Sense, vierzehn kleine Zeichnungen, vierzehnmal Sterben, so als wäre es das Normalste der Welt.
Das gehört zum Leben dazu, hat sein Vater gesagt.
Scheißdreck, hat sich Max gedacht, als er Erde auf ihn warf.
Und trotzdem hat er gelernt, damit zu leben, sich nicht erschüttern zu lassen von den Weinenden, von den Männern und Frauen in Schwarz, von den roten Augen, den Klageschreien, dem Unglück, dem er immer wieder zuschaut, wenn er oben auf seiner Terrasse sitzt, während sie unten die Särge in die Löcher hinunterlassen.
Max will gehen. Er sucht Emmas Blick, er will ihr sagen, dass er nicht länger bleiben kann, aber sie schaut ihn nicht an. Sie redet mit August, sie sagt, sie will helfen, will mit ihm auf die Blumen warten, die Kränze, auf Marga. August nickt nur. Dann sagt er, der Sarg soll offen bleiben. Emma schüttelt den Kopf. Max schaut zu, wie sie redet, wie ihr Gesicht ist, wie sich die Lippen bewegen.
– Offen?
– Ja.
– Warum?
– Sie balsamieren sie ein.
– Was tun sie?
– Sie balsamieren sie ein.
– Wozu das denn?
– Dann bleibt sie so, wie sie war.
– Sie ist tot, August.
– Kattnig wollte das. Er sagt, dass die Leute sie noch einmal sehen sollen, sie sollen sich am offenen Sarg verabschieden können. Ich habe ihm Recht gegeben, alle sollen noch einmal sehen, wie sie war.
– Wie krank ist das denn?
– Sie soll nicht
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