Die Schöne und der Tod (1)
stinken, wenn sie kommen, deshalb Einbalsamieren.
– Das darf nicht wahr sein.
– Er hat eine Visagistin kommen lassen, sie bereiten sie gerade vor. Sie hat ein weißes Kleid an, er hat es vorhin abgeholt.
– Das ist krank.
– Der Sarg bleibt offen, ob du willst oder nicht.
– Hat sie keine Verletzungen im Gesicht?
– Nein, sie ist in ein Blumenbeet gefallen. Sie ist äußerlich völlig unverletzt, sie schaut aus wie immer, kein Blut, nichts, so als würde sie schlafen. Sie ist wunderschön.
– Ihr wollt meine Schwester ausstellen?
– Aufbahren, Emma. Damit auch du sie noch einmal sehen kannst.
– Ich will das nicht.
– Zu spät. In einer Stunde ist sie da.
Emma schüttelt den Kopf. Max weiß, dass sie dieses Gesicht nie wieder sehen will, nicht auf der Titelseite einer Zeitschrift, nicht tot und angemalt in dem Wohnzimmer, in dem sie aufgewachsen ist. Ihr Kopf bewegt sich langsam hin und her. Trotzdem wird sie bleiben, sie wird Staub saugen, abwaschen, Augusts Mutter helfen, alles in Ordnung zu bringen, mit ihr die Gäste bewirten, sie wird ihre Schwester wiedersehen. Sie wird in einer Ecke sitzen und zusehen, wie hunderte Menschen sie anstarren, sie bewundern, sogar noch im Tod. Sie wird sie hassen, Marga, vielleicht wird sie ihr über die Wangen streichen, vielleicht wird sie auf sie einschlagen. Vielleicht wird sie weinen. Max weiß es nicht, will es nicht wissen. Es ist still im Raum, keiner sagt etwas. August schenkt sich Schnaps ein, Max steht auf, zieht seine Jacke an.
– Ist man sich eigentlich sicher, dass es Selbstmord war?
– Was ist das für eine Frage?
– Könnte doch sein, dass es nicht so ist.
– Kann es nicht.
– Warum nicht?
– Du solltest besser gehen, Max.
– Erklär es mir. Bitte.
– Drei Leute haben gesehen, wie sie gesprungen ist. Sie war auf einem Flachdach. Sie ist über den Balkon hinausgeklettert, sie haben geschrien, wollten sie aufhalten, aber es ging zu schnell. Sie ist einfach gesprungen.
– Die Staatsanwaltschaft hat die Leiche freigegeben?
– Was weiß ich, was die getan haben, Marga ist tot, verdammt, sie atmet nicht mehr, sagt nichts mehr, scheißegal, wer was freigegeben hat, verstehst du das, Max? Sie kommt nicht wieder, nie mehr, meine Marga.
Max schweigt und geht. Leise verabschiedet er sich und bereut schon wieder seine Neugier, dass er nicht einfach seinen Mund halten konnte, dass er sich einmischen musste in Dinge, die ihn nichts angehen. Er geht die Treppe nach unten, drückt fest die Tür ins Schloss, Emma bleibt. Er will nichts mehr von all dem wissen, er will Ruhe, sich zurückziehen, ihre Sachen aus seiner Wohnung werfen, die Wohnungstür verriegeln, allein sein.
Lass die Finger von ihr, dachte er, als er aus der Küche ging.
Bis später, sagte Emma.
Max rennt. Das Grab ist fertig. Einen Tag vorher, wie immer, weil man nie wissen kann, was dazwischenkommt, große Steine, das Wetter, gefrorener Boden. Alles so wie immer, seine Arbeit ist vorerst getan, er rennt. Weg von August, weg von Emma, weg von dem Haus, in dem er so oft war. Hubers Laden, früher der einzige Nahversorger, eine Goldgrube, später ein Relikt, das vor sich hinstarb. Jetzt ist der Laden geschlossen. Nachdem Marga viel unterwegs war, nachdem August das Handtuch warf und auch seine Mutter nicht mehr im Laden stehen konnte, wurde zugesperrt. Ein großes gelbes Plakat klebt an der Geschäftstür.
Wir danken unseren Kunden, steht da.
Max rennt. In diesem Haus hat er Wurstsemmeln gekauft. Emmas Mutter, wie sie mit ihren alten Händen Gurken schnitt. Sie hat immer liebevoll auf Max eingeredet, wenn er eingekauft hat bei ihr, sie mochte ihn. Wie sie über Emma sprachen. Wie sie starb und wie er sie eingrub vor Jahren.
Max rennt. Emma sitzt oben in der Küche. Wie gerne wäre er geblieben, wie gerne würde er für sie da sein, wieder hinaufgehen zu ihr. Er würde sie in den Arm nehmen, sie mit sich reißen, irgendwohin, wo es dunkel ist, wo nur sie beide sind, nichts sonst. Kurz zögert er, kurz überlegt er, kurz nur. Dann rennt er weiter. Sie wird bald heiraten. Sie sollte eigentlich gar nicht hier sein. Mit all dem hat er nicht gerechnet, sein Leben ist so still gewesen, bis sie angerufen hat, nichts hat die vertraute Gewohnheit gefährdet, der Wind stand still. Jetzt stürmt es.
Vier
Max nahm Tabletten und schlief ein. Die Bettwäsche wechselte er nicht. Er hatte ihren Geruch in der Nase, bevor er abtauchte. Den ganzen Nachmittag schlief er.
Tildas Klopfen
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