Die Schöne vom Nil
gewordenes orientalisches Märchen.
»Ich bin gekommen«, sagte Suliman jetzt und trank einen Schluck von dem Tee, »um einen fröhlichen Tanzabend anzukündigen …«
»Sofort akzeptiert!« rief Harris Pernam dazwischen. »Kommt Aischa aus Kairo auch wieder?«
»Wenn Sie es wünschen, Dr. Pernam … selbstverständlich.« Suliman lächelte süffisant. »Aber ich bringe hier noch etwas mit.«
Er griff in seine Rocktasche und zog ein Blatt Papier heraus. Dr. Pernam winkte ab.
»O nein, nein!« rief er mit gespielter Verzweiflung. »Nun sagen Sie nur noch, man hätte Ihnen auch eine Warnung geschickt!«
»So ist es, Doktor.«
Suliman legte den Zettel auf den Tisch. Dr. Abdullah las, ohne das Papier anzufassen. Es war der gleiche Text wie auf dem Zettel, den Dr. Herburg von dem Fellachenjungen bekommen hatte.
»Und warum Sie?« fragte Dr. Pernam. »Was haben Sie mit den Ausgrabungen zu tun? Oder handeln Sie auch mit Mumien?«
»Man betrachtet Sie als meine Freunde – vielleicht deshalb. Ich soll anscheinend veranlassen, daß Sie nicht weitergraben.«
»Das erklären Sie mal Professor Mitchener. Wir haben die Grundmauern eines feudalen Grabbezirks entdeckt, den Professor kann jetzt überhaupt nichts mehr von seinem Vorhaben abbringen. Notfalls wird er um militärischen Schutz nachsuchen …«
»Hat Militär jemals etwas gegen den Fluch der Pharaonen ausrichten können?«
»Jetzt fangen Sie auch noch damit an!« Dr. Pernam deutete auf eine Kiste. Auf dem Deckel lag, schußbereit und gut geölt, eine Maschinenpistole. »So etwas kannte die dritte Dynastie noch nicht, Suliman.«
»Und Sie ahnen nicht, was Imhotep an tödlichen Fallen in die Gräber einbauen ließ.«
»Der gute, bis heute noch nicht entdeckte Imhotep! Das große Genie der Pharaonen! Vielleicht graben wir den eines Tages auch noch aus! Emery ist an ihm gescheitert … Mitchener und seine Crew wird es nicht, wenn wir seine Spuren wittern. Das können Sie uns glauben! Wir haben alles bei uns: Gasmasken, Atemgeräte, Gegengifte, Plastikanzüge.«
»Bevor die zum Einsatz kommen, haben Sie den Tod schon in sich«, antwortete Suliman ernst. »Dr. Pernam, ich möchte das dem Professor selbst erklären. Wo kann ich ihn sprechen?«
»In einer großen Grube, fünf Meter unter der Erde, vor der Mauer des Menesptah-Grabes.«
Dr. Abdullah zeigte es auf einem Lageplan, den man gestern angefertigt hatte. Er erklärte im Detail, wie man die Totenanlage freilegen wollte. »Im Augenblick gräbt man einen Schacht an der Mauer entlang …«
»Und Dr. Herburg ist mit einem Ultraschallgerät unterwegs. Keine Chancen mehr für das Geheimnis um den zwölfjährigen König.«
Suliman ibn Hussein war sehr ernst geworden. Er hatte sein Teeglas mit beiden Händen umfaßt und starrte hinaus in die gnadenlose Hitze. Die riesige Totenstadt mit den freigelegten Ruinen und der Stufenpyramide des Djoser schwamm hinter einem Vorhang aus glühender Luft. Die Arbeiterkolonnen trabten hin und her und trugen Sand und Geröll auf einen großen Haufen, der wiederum systematisch von Mitcheners ägyptischen Assistenten durchgesiebt wurde.
»Hören Sie auf!« sagte Suliman sehr betont. »Sie können mich einen Idioten nennen – aber ich habe Angst um Sie alle. Wissen die Arbeiter von den Warnungen?«
»Nein.«
»Was, glauben Sie, passiert, wenn man es ihnen sagt?«
»Wollen Sie das etwa?« fragte Dr. Pernam plötzlich sehr laut zurück.
»Professor Mitchener trägt die Verantwortung für alles, was hier geschieht.« Suliman stand auf. »Kann ich nun mit ihm sprechen?«
»Wenn Sie keinen Staub scheuen und sich Ihren schönen Anzug schmutzig machen wollen, dann kommen Sie mit.« Pernam ging voraus, Suliman und Dr. Abdullah folgten ihm.
An den unermüdlichen, von dickem Staub überzogenen Arbeitern vorbei kamen sie bis zu der hölzernen Rampe, die hinunter zu der gefundenen Mauer führte. Links und rechts von der Scheintür hatte man jetzt Gänge gegraben und war dabei, die Mauer nach beiden Seiten freizulegen.
Mitchener und Herburg saßen auf kleinen Klappstühlen vor der Scheintür und diskutierten, wie die Grabanlage aussehen mochte. Nach den bisherigen Erfahrungen mit den Totenstätten der 3. Dynastie mußte der eigentliche Grabeingang entweder in der Nähe einer Scheintür, hinter einer Wandmalerei oder dicken Granitblöcken liegen; oder auf der anderen Seite der Anlage, im Osten, der aufgehenden Sonne zugewandt. Ra, der alte Sonnengott, der Beherrscher der Erde und der
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