Die Schöne vom Nil
schon erklärt?«
»Ich werde mich hüten.«
»Warum? Ich nehme sie Ihnen doch ab!« Dr. Pernam nahm wieder einen tiefen Zug aus der Flasche. »Ich glaube, das dürfte ein Leben werden, wie es sich jeder Archäologe erträumt: Das Eindringen in vergangene Jahrtausende und eine Erholung in der sich immer erneuernden Gegenwart.«
»Und wenn Sie nicht Luisas Typ sind, Harris?«
»Oh, ich werde mich ihr schmackhaft zu machen wissen.« Pernam lachte etwas ordinär. »Das ist alles eine Sache der Präsentation! Emanzipierte Frauen sind nie auf einen bestimmten Typ Mann festgelegt.«
III
Im Morgengrauen des nächsten Tages zog Toc-Toc mit seinem Grabungstrupp hinaus zu dem neu entdeckten Grab, um weiter die untere Mauer und den Eingang freizulegen. Eine andere Gruppe arbeitete oben auf dem Plateau bei den Scheintüren. Der Professor und auch Herburg glaubten, daß irgendwo ein zweiter Eingang sein müsse.
Nicht umsonst war der Gräberkomplex so groß: Im Innern des Grabes mußte es ein Labyrinth von Gängen, Scheinkammern, toten Gewölben, Tiermumienhallen und Schächten geben, die jeden Eindringling verwirrten und Grabschändern den Mut nahmen.
»Eines ist sicher«, hatte Professor Mitchener noch vor seiner Krankheit gesagt, »wenn dieses Grab nach Entwürfen von Imhotep gebaut worden ist, dann erleben wir nicht nur eine Menge Überraschungen, sondern dringen tiefer in die Geheimnisse seiner genialen Baukunst vor. Das kann sogar heißen, daß wir zwar das Grab haben, aber trotzdem nie an den Sarkophag des Menesptah herankommen. Jedenfalls steht fest: Wir werden nicht vor dem großen Imhotep kapitulieren!«
Übrigens: Dr. Luisa Alius hielt Wort. Sie erschien in einem alten kleinen VW an der Grabungsstätte und hatte einen glänzenden Metallkoffer mitgebracht.
Dr. Frank Herburg, der an diesem Morgen die Ausgrabungen leitete, während Dr. Pernam in dem großen Zelt saß und die Tongefäße und Steinfigürchen mit feinen Pinseln abstaubte und registrierte, denn mit jedem Schaufelwurf kamen neue Scherben aus verschiedenen Jahrhunderten zum Vorschein, sah Luisa Alius sehr kritisch entgegen.
Neben Herburg, in Männerkleidung und wie einer der staubigen Arbeiter aussehend, arbeitete Leila und trug die Funde auf einer Decke zusammen. Es waren vor allem Bruchstücke von ehemals buntbemalten Steintafeln mit Darstellungen aus dem Leben der Menschen der dritten Dynastie. Es war jetzt schon klar: Dieses Grab gehörte zu den ältesten Kulturzeugnissen Ägyptens – eine ungeheure Kostbarkeit.
»Was will sie hier?« zischte Leila und lehnte sich gegen Dr. Herburg. »Schick sie weg! Sie ist Ärztin, sie soll sich um den Professor kümmern!«
»Sie will feststellen, ob Giftgase in den Gängen sind.«
»Allah soll sie an diesen Gasen ersticken lassen!«
»Leila!«
»Ich hasse sie! Wie sie dich anblickt! Merkst du das denn nicht?« Leila war den Tränen nahe.
»Wie soll sie mich denn anblicken?«
»Wenn du das nicht merkst … Ich sehe es! Sie tut, als habe sie dauernd Streit mit dir …«
»Das hat sie ja auch.«
»Aber mit ihren Augen frißt sie dich auf! Sie ist die Sonne, und du bist nur der Wassertropfen, der unter ihr verdunstet.«
»Du phantasierst, Leila …«
Luisa Alius hatte mit Hilfe von Toc-Toc die Metallkiste ausgeladen und ließ sie jetzt hinuntertragen zu dem Loch in der Eingangstür. Vier erfahrene Facharbeiter aus Toc-Tocs Kolonne, die sich darin auskannten, millimeterweise die kostbaren Steine abzutragen, waren seit drei Stunden dabei, das Loch zu dem langen Abwärtsgang zu erweitern.
Herburgs Vermutungen bestätigten sich: Auf der Rückseite der Vermauerung waren Wandgemälde und Spruchbänder angebracht worden. Es kam also auf jeden Stein an, wenn man später die Wand wieder zusammensetzen wollte, um die Malereien und Inschriften zu deuten.
Es bewies aber gleichzeitig, daß noch ein anderer Ausgang vorhanden sein mußte, denn wer von innen eine zugemauerte Tür bemalte, mußte ja später auf einem anderen Weg das Grab verlassen haben. Es sei denn, die Künstler hätten mit vollem Bewußtsein, lebendig eingemauert zu werden und für ewig bei ihrem König zu bleiben, ihre Werke ausgeführt. Sie würden sich dann wohl in eine andere Grabkammer zurückgezogen haben, um dort zu sterben.
Eine grauenhafte Vorstellung! Früher oder später würde man die volle Wahrheit erfahren …
»Was wollen Sie hier, Dr. Alius?« fragte Herburg betont steif und unwillig, als Luisa und die vier Männer mit dem großen
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