Die Schöne vom Nil
fest. »Laß sie zuerst in das Grab steigen, Frank …«
»Das wäre – in deinen Augen – die legalste Methode des Mordes. Leila …« Er packte sie an den Schultern und rüttelte sie. »Nur du und ich wissen, wie sehr wir uns lieben. Und plötzlich kommt in einem Hubschrauber eine junge Frau herabgeschwebt – und schon beginnst du, an allem zu zweifeln! Hast du so wenig Vertrauen zu mir? Wäre Mitchener nicht krank geworden, hätte ich Luisa Alius nie kennengelernt.«
»Schick sie weg!« verlangte Leila eigensinnig. »Sie kann doch zurück nach Kairo fliegen.«
»Das wird sie auch bestimmt tun, wenn der Professor außer Gefahr ist.«
»Das glaubst du?«
»Ja, was soll sie dann noch hier?«
»Bei dir sein …«
»Leila!«
»Ich habe in ihre Augen gesehen. Diese Augen …«
»Du wiederholst dich …«
»Sie läuft herum, als sei sie aus Eis. Aber aus ihren Augen sprühen die Funken! Wie ein Vulkan! Frank, ich bitte dich, laß sie allein in das Grab, wenn sie es so will.«
»Nein!«
Er ließ Leila los und lief hinter Luisa her zu dem immer größer werdenden Eingang in das unterirdische Labyrinth. Die Arbeiter unter Toc-Tocs Leitung und unter Aufsicht eines jungen britischen Geologen, der einen unaussprechlichen Namen von seinem polnischen Vater geerbt hatte – er war vor Jahren nach Schottland eingewandert –, hatten die Steinplatten säuberlich auf Wolldecken gelegt.
Das Bild wurde klar: Die Wand war von innen mit Jagdszenen und bäuerlichen Motiven bemalt worden. Man erkannte schon jetzt eine Krokodiljagd und eine Papyrusernte am Nilufer. Flache Kähne lagen im Schilf … die Farben waren noch recht gut erhalten: alle pastellzart – erdbraun, wüstengelb, hennarot, kohlenschwarz und ein merkwürdig grünliches Blau, das noch jetzt, nach 5.000 Jahren, zu leuchten schien.
Dieser Fund würde Professor Mitchener schnell wieder gesund werden lassen, das schien sicher. Sobald er die Kraft hatte, auf den Beinen zu stehen, würde er am Grab auftauchen. Und wenn er sich in einer Decke herumtragen lassen würde … Wie alle Ägyptologen war er ein Besessener.
Luisa Alius hatte ihren Metallkoffer schon aufgeklappt und eine Sauerstoffflasche ins Geröll gestellt. Sie drehte sich nicht um, als sie hinter sich das Keuchen Herburgs hörte, der vom Laufen in der heißen Luft außer Atem war.
»Ich verbiete es Ihnen!« rief er aufgeregt.
»Sie können mir gar nichts verbieten«, erwiderte Luisa ruhig und schraubte ein Ventil auf die Flasche. Dann schloß sie die Schläuche an eine Atemmaske an, die einer zweiten Haut aus Gummi glich. Wer sie über den Kopf zog, war von jeglicher Außenluft hermetisch abgeschlossen.
Die altägyptischen Giftpriester – wenn es sie jemals gegeben hatte – würden hier ihre Schlacht um das Grab des Pharaonen verlieren …
»Ohne meine Zustimmung läßt Sie keiner in den Gang!« rief Herburg. »Das ist Ihnen doch hoffentlich klar.«
»Nein.«
»Was bilden Sie sich eigentlich ein? Schweben in der Nacht mit einem Hubschrauber in Sakkara ein, als Arzt für Professor Mitchener …«
»Bin ich kein Arzt?«
»Bitte, argumentieren Sie hier nicht mit angeblich weiblicher Logik …«
»Was haben Sie gegen Logik? Ich bin Arzt, ich habe Mitchener aus dem Gröbsten heraus, ich habe meine Pflicht getan …«
»Und jetzt wartet ganz Kairo auf Ihre Rückkunft.«
»Irrtum! Die Erkrankung Ihres Professors war ein willkommener Anlaß für das Toxikologische Institut, mich mit der Überwachung der Forschungen der geheimnisvollen ägyptischen Grabkrankheiten zu betrauen. Ich habe eine Sondergenehmigung! Greifen Sie bitte in meine linke Jackentasche.«
»Was soll ich?«
»In meine Jackentasche greifen. Links unten. Sie berühren bei dieser Gelegenheit keinen Körperteil, bei dessen Anblick Ihre Leila wild werden könnte.«
Sie schraubte weiter an ihrer Sauerstoffflasche herum und drehte Herburg den Rücken zu.
Frank zögerte. Er schielte zu Leila hinüber. Sie lehnte an der freigelegten Grabmauer aus Brandziegeln und Sandsteinen und beobachtete ihn mit gesenktem Kopf wie ein Raubtier, das sein Opfer nicht aus den Augen läßt.
Diese glühende Sonne raubt uns allen fast den Verstand, dachte Frank, harmlose Dinge werden plötzlich zu einem erschreckenden Problem.
Er griff also in Luisas linke Jackentasche und holte ein zusammengefaltetes Schreiben hervor. Es stammte vom Gesundheitsministerium und dem Ordinarius für Toxikologie der Universität Kairo und erteilte der Ärztin Dr. Luisa
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