Die Schöne vom Nil
ist gleichgültig – nur weiter! Ob wir hier in der ersten, der zweiten oder dritten Etage sind, ist ohne Belang. Nur vordringen müssen wir! Je weiter wir in das Grab vordringen, um so größer ist die Chance, gefunden zu werden!«
»Wer soll uns finden?«
»Es ist ein großes Glück, daß Harris Pernam so ein sturer Bursche ist. Er wird genau das tun, was ich ihm gesagt habe: Was auch passiert – weitergraben! In die Grabanlage eindringen und sich durch nichts aufhalten lassen! Unser Gegner wird immer nervöser. Hätte ich nur damals schon gewußt, daß es Suliman ist …«
»Ich werde nie vergessen, wie er Salimah den Dolch in den Rücken warf. Aus dem Handgelenk … fast spielerisch leicht! Und welche Kraft steckte dahinter! Die Klinge muß das Herz glatt durchschnitten haben.«
»Und Suliman wird nervös und nervöser werden, wenn Pernam weitergräbt. So rasch kann er seine Rauschgiftmengen nicht abtransportieren. Er wird sich etwas einfallen lassen müssen, denn er kann ja schließlich nicht die ganze Expedition ausrotten! Darauf setze ich meinen letzten Funken Hoffnung für uns, Luisa! Harris kann uns irgendwo im Grab erreichen, wenn wir hier nicht sitzen bleiben und nichts tun als warten. Wir müssen ihm entgegenkommen!«
Er hielt ihre Hand fest, mit der sie über seine Lippen strich. Dann drehte er sich auf den Rücken.
»Weißt du, daß Harris dich sehr liebt?«
»Ja … er hat es angedeutet …«
»Als es uns allen klarwurde, daß du nach dem Überfall verschwunden warst, ist er bald verrückt geworden. Er wollte allein in den Dschebel Quatrani, weil man zuerst vermutete, libysche Rebellen hätten den Überfall ausgeführt. Dabei war es nur eine von Sulimans perfekten Inszenierungen! Ich habe Harris nur mit dem Argument zurückhalten können, daß ich sagte, der unbekannte Gegner würde sich dann wieder rühren, wenn wir weitergraben. Gegen den Widerstand des Professors sind wir dann von neuem in das Grab gestiegen … Leila und ich. Da geschah das Unglück …«
»Du liebst Leila?« fragte Luisa unvermittelt. »Sag bitte nicht: Ich weiß es nicht. Du weißt es genau …«
»Und jetzt … auch jetzt wird Pernam weitergraben. Allein oder mit Dr. Abdullah oder Mr. Polski … Er wird weitergraben. Luisa, wir müssen in das Innere des Grabes!«
»Warum antwortest du nicht auf meine Frage?«
»Ja, gut, ich liebe Leila!« sagte er, und es klang etwas gequält.
Er spürte den Druck ihres Beines auf seinem Leib und dachte: Und dich liebe ich auch. Oder will ich nur wissen, wie du dich benimmst, wenn du in den Armen eines Mannes liegst? Er wußte es jetzt: sie konnte unendlich zärtlich sein, und alle Überlegenheit, die sie sonst zur Schau trägt, alle Emanzipation, alle Schlagfertigkeit, Superklugheit und die rauhe Schale, mit denen sie jeden Mann verblüfft und heillos an die Wand spielt, fielen von ihr ab wie eine zweite Haut, wenn man ihre Sehnsucht nach wirklicher, echter Liebe entdeckte.
Sie schwiegen beide. Luisa dachte nach.
»Wir haben noch dreihundertfünfunddreißig Stunden … Stimmt das?«
Er blickte auf die flimmernden Leuchtziffern seiner Uhr. Ohne nachzurechnen, sagte er: »Ungefähr.«
»Ich möchte diese dreihundertfünfunddreißig Stunden glücklich sein. Ist das unverschämt, Frank? Bevor ich sterbe, möchte ich gern wissen, was das Glück ist. Das Glück, einen Mann zu lieben. Weißt du, daß ich das nie empfunden habe?«
»Du hast es mir erzählt.«
»Was habe ich nicht alles geredet … geredet …«
Sie bewegte sich und legte sich langsam ganz über ihn. Ihr Gesicht ruhte auf seiner linken Schulter.
»Glaubst du eigentlich immer alles, was eine Frau dir erzählt?«
»Dir habe ich es geglaubt.«
»Warum?«
»Weil du so absolut ehrlich aussiehst …«
»Danke, Frank.« Sie rieb ihr Gesicht an seiner Schulter. »Ehrlich, sagtest du? Soll ich jetzt ganz ehrlich sein?«
»Natürlich.«
»Ohne Scham?«
»Kannst du das?«
»Ich kann es … bei dir! Ich möchte die dreihundertfünfunddreißig Stunden, die uns bleiben, ganz mit dir zusammen sein …« Ihre Hand lag plötzlich auf seinem Mund. »Sag jetzt nichts, Frank. Zerstöre mir diese Illusion nicht sofort … Wir werden uns lieben wie Wahnsinnige, die sich ineinander verbeißen … das kostet Luft, Frank … Wir werden mit jedem Atemzug mehr verbrauchen, als wir dürfen … Und so werden wir früher sterben … die Qual, die furchtbare Qual des Wartens wird schneller vorbeigehen …«
»Wir haben aber auch
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