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Die schoenen Hyaenen

Die schoenen Hyaenen

Titel: Die schoenen Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Goldsmith
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Jahne zur Verfügung. Nicht, daß sie die Nächte in dem Bett hätte verbringen sollen. Das diente nur zur gelegentlichen Entspannung.
    In der vergangenen Nacht hatte Jahne einen schrecklichen Alptraum gehabt, der sie noch jetzt verfolgte. Sie stand in einer Nacktszene auf der Bühne. Das Theater war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Es war eine ernste Szene, eine bewegende. Plötzlich spürte Jahne, wie erst der eine Schenkel sich wölbte und dicker wurde, dann der andere. Im Publikum wurde gekichert. Dann wölbte sich ihr Bauch vor, eine Brust dehnte sich und hing ihr bis zur Taille. Das Publikum lachte. Jahne bedeckte das Gesicht mit den Händen und spürte unter den Fingern ihre alte Nase, das schwache, fliehende Kinn. Das Publikum tobte. In Schweiß gebadet wachte sie auf.
    Auch jetzt bedeckte Schweiß Jahnes Oberlippe. »Wußten Sie immer, daß Sie schön sind, Mai?« fragte Jahne.
    »Nie.«
    »Nie?« staunte Jahne. »Mai, aber Sie waren die schönste Frau Ihrer Zeit. Und Sie haben sich nie für schön gehalten?«
    »Jetzt weiß ich, daß ich schön war. Das sehe ich in den alten Filmen, den Stummfilmen jener Tage. Doch damals? Nein. Mein Mund kam mir zu groß vor, meine Augen zu rund. Ich verglich mich mit anderen Mädchen, später mit anderen Frauen. In Hollywood wurde das noch schlimmer. Ich fühlte mich immer unvollkommener. Fand mich zu schlecht für die Kamera und die Männer.«
    Neben Mais Gesicht, das von Falten, Tränensäcken und Altersflecken gezeichnet war, sah Jahne jung und frisch aus. Doch wie lange noch? Und war Jahnes Gesicht schön genug für eine Filmleinwand? Keinesfalls strahlte sie so viel Liebreiz aus wie Mai damals. Jahne hatte geglaubt, nur sie konzentriere sich auf ihre Unzulänglichkeiten, weil ihr Gesicht eben unzulänglich gewesen war. Daß auch Mai unter diesen Selbstzweifeln gelitten hatte, erschütterte sie.
    »Meine Liebe, haben Sie Angst vor den Kameras?« fragte Mai. »Sie werden wundervoll aussehen. Die Probeaufnahmen bringen Ihre Schokoladenseite heraus. Warten Sie nur ab. Alles wird gut werden.«
    »Ich dachte, ich sähe von allen Seiten gut genug für die Kamera aus.«
    Mai lachte. »Ich bitte Sie! Jean Arthur konnte nur von der linken Seite aufgenommen werden. Die Szenen wurden entsprechend gestellt. Ähnlich Claudette Colbert: Sehr französisch, sehr elegant, aber sie hat ein Gesicht wie... nun, wie ein Kürbis. Erst die besonderen Beleuchtungseffekte gaben ihr die richtigen Wangen. Auch Elizabeth Taylor hatte Probleme. Schatten auf der Oberlippe. Also was ist Ihr Problem, meine Liebe?« Mai lachte.
    »Warum all diese Tricks, Mai?« fragte Jahne erregt, obwohl sie keine Antwort erwartete. »Warum muß es die Schokoladenseite sein, warum muß kaschiert werden und all das? Warum sind wir nicht gut genug wie wir sind?«
    »Weil wir so nicht dem Traumbild der Männer entsprechen. Kennen sie die Geschichte von John Ruskin?« Jahne wußte, daß er ein englischer Kunstkritiker in der Zeit von Königin Victoria gewesen war.
    »Er war nicht nur Londoner Kunstkritiker. Er war ein Journalist, der den Geschmack der Zeit bestimmte. Er sagte den Leuten, was ihnen zu gefallen hatte, was schön oder häßlich war. Ein sehr wichtiger Mann der Londoner Kunstszene. Er heiratete ein sehr schönes junges Mädchen. Er betete sie an — bis nach der Trauung. Als sie sich in der Hochzeitsnacht auszog, wurde ihm schlecht. Wissen Sie auch warum?«
    Jahne schüttelte den Kopf.
    »Er sah ihr Schamhaar. Das verursachte ihm Übelkeit. Er hatte unzählige Statuen von Frauengestalten gesehen. Doch sie waren immer ohne Behaarung dargestellt. Seine Frau ekelte ihn an.« Mai lachte. »So ist das mit uns Frauen. Gott hat uns da einen Streich gespielt. Wir sind fast vollkommen, doch nie vollkommen genug.«
    »Was wurde aus Ruskins Frau?«
    »Lange Zeit blieb sie Jungfrau. Doch eines Tages verließ sie ihren Mann und folgte einem Künstler. Einem echten Mann. Für ihn war sie vollkommen. Sie bekam ein Kind von ihm. Und die Moral von der Geschichte? Halten sie sich an die Künstler, nicht an die Kritiker!«
    Mai half Jahne bei der Anprobe. Die hätte längst stattfinden müssen. Sie hinkten der Zeit hinterher.
    Es wurde sieben Uhr, bevor sie ins Cupertino zurückkehrten. Jahne hatte allmählich grundsätzliche Zweifel. Angesichts der ständig revidierten Drehbücher, von denen ihr keins wirklich zusagte, fragte sie sich, ob sie nicht einen Riesenfehler beging.
    Jahne glich der Motte, die ins Licht

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