Die schoenen Muetter anderer Toechter
hatte, aus Angst, sie könnten ganz ohne mein Zutun plötzlich nach vorn schießen und Angela festhalten. Ich wollte nicht, dass sie ging.
»Wann verläuft im Leben schon mal etwas gradlinig?«, fragte ich zurück. Ihr Kopf zuckte irritiert. »Das passiert in Filmen, aber doch nicht im Leben. Dass du eine triffst, dich verliebst, sie umwirbst, sie verliebt sich auch, und schon seid ihr glücklich miteinander. Und wenn sie nicht gestorben sind …«
Angela wippte mit dem Fuß. »Sei mir nicht böse, aber ist das eine Antwort auf meine Frage?«
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und schätzte den Abstand zwischen uns ab. Vielleicht zweieinhalb Meter. Entschieden zu weit, als dass meine Arme sich schlagartig selbstständig machen könnten. Ich konnte mich also etwas entspannen.
»Ich meine damit, dass uns oft Umwege zu einem ersehnten Ziel führen …«
»Du meinst, das Ziel bin ich, und Lena ist der Umweg?«, unterbrach sie mich rasch.
»Nicht falsch verstehen!«, bat ich sie. »Vielleicht klingt das in den Ohren einer Mutter nicht besonders nett. Aber ja, so in etwa meine ich es.«
Angela lehnte sich an die Wand, und ihre Schultern sanken ein wenig zusammen. »Michelin, ehrlich, ich bin viel zu durcheinander, um jetzt meine mütterlichen Ohren aufzustellen. Ich müsste lügen, wenn ich dir jetzt sagen würde, dass mich deine Theorie kalt lässt. Aber ich habe dir am Telefon gesagt, dass ich zur entsprechenden Praxis einfach nicht die Kraft habe. Schon allein, dass du eine Frau bist … dass ich eine Frau bin … ich meine, dass wir beide … ach, du weißt doch, was ich meine. Schon allein das reicht aus, um mich total durcheinanderzubringen. Aber dass Lena darin verwickelt ist, macht es noch so viel schwerer. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Meine Arbeit leidet darunter. Ich schlafe nur noch wenig und dazu noch schlecht. Ich muss das beenden, bevor ich ganz durchdrehe!«
Und als ob ihre eigenen Worte sie an den Vorsatz erinnert hätten, bloß nicht schwach zu werden, riss sie sich von der Wand los, straffte ihre Schultern und tat zwei Schritte in Richtung Tür. Und somit auf mich zu! Ich erschrak ein bisschen, denn meine Arme kribbelten plötzlich, als wollten sie zu eigenständigem Leben erwachen.
»Warte!«, sagte ich, etwas zu laut. Wenn sie noch näher kam, konnte ich für nichts garantieren.
»Das mit Jana damals war etwas anderes«, fuhr sie leise fort. »Ich war noch jung, und alle Wege standen mir offen. Ich hatte die Wahl. Und ich hatte keine Tochter, der ich mit meinem Verhalten entsetzlich weh getan hätte. Vielleicht hätte ich damals …«
»Hast du aber nicht!«, entgegnete ich, meine Arme eng an den Körper gepresst.
Angela sah mich an, und ihr Blick fiel auf meinen Mund.
›Sie will das Gleiche wie du!‹, kreischten die wilden Nymphen in mir. ›Pack sie dir! Los! Geh ran!‹
»Ich kann doch nicht einfach …!«, setzte ich ihrem hysterischen Gekreisch hilflos entgegen.
»Was kannst du nicht?«, wollte Angela ernsthaft wissen, ihren grünen Blick immer noch auf meinen Mund geheftet.
»Dich küssen?«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Nein«, sagte auch Angela, während sie nervös mit der Zungenspitze ihre Lippen befeuchtete. »Unmöglich.«
»Du würdest es nicht wollen«, argumentierte ich.
»Auf keinen Fall«, stimmte sie zu.
»Es würde alles noch schlimmer machen.«
»Es würde ein einziges Chaos!«
»Vielleicht gehst du jetzt besser?!«
»Ja. Ja, ich werde jetzt einfach gehen.«
Angela machte noch zwei weitere Schritte auf die Tür und somit auf mich zu. Und da geschah es. Meine Hände schnellten nach vorn und wanden sich gleich lebendigen Enterhaken um das blütenweiße Sommerkleid. Ich konnte quasi gar nichts dagegen tun.
Angelas Arme schienen ebenso wenig Angelas Willen zu gehorchen, denn auch sie benahmen sich anders, als die gesprochenen Worte gerade noch verheißen hatten: Sie legten sich blitzschnell um meinen Körper, sodass wir aufeinander- stießen wie bei einem Ringkampf. Es blieb uns kaum noch Zeit, um einmal tief Luft zu holen, als sich auch schon mit atemberaubender Geschwindigkeit unsere Lippen einander näherten und in einem Kuss verschmolzen.
Und dann war Stille.
Alle Gedanken in meinem Kopf, alles Sehnen und Zweifeln und Leugnen kam mit einem Mal zur Ruhe. In der warmen Weichheit unserer Umarmung wurde alles unwichtig, was in den vergangenen drei Wochen geschehen war. Es war, als sei diese Zeit nie vergangen, als ständen wir immer noch
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