Die schoenen Muetter anderer Toechter
Frederike.
»Egoistisch durchaus! In dem Sinne, dass du eigene Interessen über das einer ganzen Familie stellst!« Lena zeigte anklagend mit dem Finger auf mich.
»Angela, wie darf ich das eigentlich alles verstehen?«, fragte Volker.
»Warum veranstalte ich denn wohl hier diesen bekloppten Abend?«, hielt ich Lena entgegen, jetzt auch wütend.
»Was ist hier eigentlich los?«, ertönte da plötzlich Ullis Stimme von Ende der Tafel her. »Ist das hier ein nettes Essen oder eher eine Miniaturschlacht? Falls ja, dann würde ich gerne wissen, wer gegen wen Krieg führt.«
Alle saßen wie vom Donner gerührt da.
Ellen öffnete den hübsch geschwungenen Mund, den sie bisher wohlweislich geschlossen gehalten hatte, bekam aber keinen Ton heraus. Stattdessen sah sie mich auffordernd an.
Ich wollte gerne aufspringen und rausrennen. Und als ob die zuständige Wegrenn-Göttin mich erhört hätte, klingelte es an der Tür.
»Moment!«, sagte ich rasch und war in einer Sekunde aus dem Raum verschwunden. Hinter mir hörte ich Schweigen.
Im Treppenhaus erklangen die Schritte von klappernden Frauenschuhen. Eine Frau um die vierzig kam die Stufen herauf, geschminkt und trotz Sommer mit einem chicken, wahrscheinlich unglaublich teuren schwarzen Lackmantel bekleidet. Unter dem Arm trug sie eine Pappmappe, die aussah wie ein Päckchen. Sie kam mir vage bekannt vor, aber ich konnte sie nicht einordnen. In meinem Bekanntenkreis gab es keine neureichen mondänen Frauen, wie sie wohl eine war. Ihre Miene wirkte entschlossen. Ihr Lächeln war eher höflich als freundlich.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, sagte sie mit klarer, lauter Stimme. »Ich bin auf der Suche nach meiner Nichte, Nancy. Man hat mir gesagt, ich könne sie hier finden. Ich würde nicht so hereinplatzen, aber es ist sehr wichtig.«
»Sicher«, antwortete ich, sie unverwandt anstarrend. Woher kannte ich sie? »Kommen Sie rein. Ich hoffe, es gibt keine schlechten Nachrichten?!«
»Das wird sich herausstellen«, erwiderte sie, während ich die Tür hinter ihr schloss.
Da ich hinter ihrem Besuch eine ernste Angelegenheit vermutete, wollte ich sie gerade bitten zu warten, und Nancy herausrufen. Aber die Frau ging bereits mit selbstsicherem Schritt die wenigen Meter durch den Flur hinüber zum Wohnzimmer.
Die sonderbare Ansammlung von Gästen starrte dieser beeindruckenden Gestalt entgegen. In mehreren Gesichtern stand Unglaube geschrieben. Karolin verschluckte sich am Wasser und kämpfte mit einem Hustenanfall. Frederike klappte den Mund auf und zu wie ein Goldfisch.
»Tante Tatjana«, hauchte Nancy.
Angela wurde bleich wie eine frisch geweißelte Wand. »Jana?«, sagte sie tonlos.
Tatjana Grünapfel, die ehemals erfolgreiche Schauspielerin Jana Jasper, stutzte einen Augenblick, als sie Angela erkannte. Ein Anflug von Wiedersehensfreude huschte über ihr Gesicht. Doch dann besann sie sich auf ihr eigentliches Vorhaben und blickte sich mit ernsthafter Miene im Raum um. Ich konnte nicht anders, als sie für ihre Standhaftigkeit zu bewundern, mit der sie dreizehn fragenden oder entsetzten Augenpaaren gegenübertrat. Ihr Blick blieb an Frederike hängen.
»Ich glaube, ich habe hier etwas, das Ihnen gehört«, sagte sie und reichte das Päckchen über den Tisch.
E LFTES K APITEL
Wer vom Honig nascht,
vergisst nur leicht den Bären
E s war ganz einfach.
Als Nancy weinend auf ihrem Stuhl in sich zusammensank, war allen MitwisserInnen klar, dass die mutmaßliche Zeugin in Wahrheit die Täterin sein musste. Und so war es auch.
Keine von uns, außer Lena natürlich, und die hatte ja keine Ahnung, wie wichtig diese Tatsache war, hatte geahnt, dass Nancy ihre halbe Kindheit bei der Schwester ihrer Mutter verlebt hatte und auch heute noch in deren Haus ein und aus ging. Nie im Leben wären wir schlauen Marlowes darauf gekommen, dass nicht die unschuldige Iris, sondern Tatjana Grünapfel das Bindeglied zum verschwundenen Manuskript war. Von Freundinnen darüber unterrichtet, dass ihre heißgeliebte Tante in Frederikes neuem Buch gar nicht gut wegkam, hatte Nancy nicht gezögert.
Sie war gar nicht erst auf die Idee gekommen, dass dieses Ärgernis vielleicht auch durch ein klärendes Gespräch mit der Autorin hätte aus der Welt geräumt werden können.
Tatjana Grünapfel selbst war ahnungslos. Bis zum heutigen Abend, an dem sie in Nancys Reisetasche das Manuskript entdeckte. Sie hatte nur eins und eins zusammenzählen müssen, um zu kapieren, was geschehen
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