Die schoenen Muetter anderer Toechter
Geschichte zum Kult geworden.
Meine ganz persönliche Theorie zu Frederikes schriftstellerischer Fähigkeit lautet ›Notwendigkeit‹. Denn meiner Meinung nach ist es für sie unbedingt notwendig, ein Ventil zu besitzen, durch das sie all diese irrwitzigen Dinge, die sie tagtäglich erlebt, wieder loswerden kann. Frederike zieht nämlich verrückte und unglaubliche Geschichten nahezu magnetisch an. Aus diesem Grunde machte ich mich jetzt auf alles gefasst. Und da brach es auch schon aus ihr heraus: »Michelin, es ist etwas Entsetzliches geschehen!«
Die hellbraunen Haare standen ihr wirr vom Kopf ab, als seien sie nicht gekämmt und zusätzlich gewaltig zerzaust worden. Ihr niedliches Aussehen wurde von ihren markant wirkenden Augen kontrapunktiert, denn ihr linkes war braun, das andere strahlend blau. Doch jetzt blitzten beide gleichermaßen vor Aufregung. »Es war fertig. Ich hatte es auf meinem Schreibtisch im Arbeitszimmer liegen. Karolin und ich waren heute Morgen zum Frühstücken im Sentimental. Und als wir heimkamen war … es war …«
Frederike verstummte sprachlos, sah mich um Fassung ringend an und ergriff hilfesuchend meine Hand. Frauke sah in eine andere Richtung. Sie kannte Frederike ebenso wenig wie die meisten meiner lesbischen Freundinnen. Nicht dass Frauke in einer betont heterosexuellen Welt lebte. Sie lebte einfach in ihrer Lothar-und-Loulou-Welt, und abgesehen von unseren täglichen und umfassenden acht Stunden Bürovergnügen teilten wir nur hin und wieder ein Abendessen zu dritt oder einen ausgedehnten Spaziergang miteinander. Vielleicht war sie unsicher, weil sie nicht wusste, in welchem Verhältnis Frederike und ich zueinander standen oder mal gestanden hatten. Ich glaube, sie hielt die Lesbenszene für einen undurchdringlichen Dschungel aus Exen und Möchtegern-Liebhaberinnen.
»Wovon sprichst du denn?«, wollte ich mit beruhigender Stimme von Frederike wissen. »Was war fertig? Und was ist passiert, als ihr nach Hause kamt? Wo ist Karolin jetzt?«
Karolin war Frederikes ›Lebensgefährtin‹. So nannten sie sich seit einiger Zeit gegenseitig. Und bei ihnen hatte ich das sichere Gefühl, dass dieser Ausdruck ganz und gar stimmte. Sie hatten sich vor fünf Jahren gefunden und lebten seitdem miteinander in einer wunderbar ausgewogenen Beziehung.
»Karolin ist zu Hause und wartet auf Christine. Wir brauchen ihre Beratung, falls es nicht wieder auftaucht«, brachte Frederike atemlos hervor. Wenn die Rechtsanwältin Christine hinzugerufen wurde, musste etwas wirklich Ernstes passiert sein.
»Wenn was nicht wieder auftaucht?«, wollte ich ungeduldig wissen.
»Mein neues Manuskript!«
Frederikes neues Manuskript war eine Art Fortsetzung ihres Bestsellers von vor zwei Jahren. Wieder spielte die Geschichte in der Lesbenszene im Ruhrgebiet. Ich war bereits einmal in den Genuss eines Kapitels gekommen, als Frederike noch an dem Werk schrieb. Weil sie gern noch während des Schaffensprozesses konstruktive Kritik einholte und wohl auch aus einer gewissen Vorfreude heraus, las sie ihren Freundinnen hin und wieder einige Seiten daraus vor.
»Dein neues Manuskript ist verschwunden?«, wiederholte ich verblüfft.
»Ich sage dir, es lag auf meinem Schreibtisch. Ich bin doch nicht dumm. Ich weiß genau, dass ich es da hingelegt habe. Karolin hat natürlich zuerst geglaubt, ich hätte mal wieder einen von meinen verträumten Anfällen. ›Wirst es irgendwo an einer irrsinnigen Stelle sicher versteckt haben!‹, meinte sie. Wir haben überall gesucht, im Kühlschrank, unterm Bett, hinterm Sofa und auf dem Kleiderschrank. Nichts! Michelin, ich bin zwar etwas spinnert, aber nicht blöd im Kopf. Es ist verschwunden!«
Frederike fuhr sich erneut durchs Haar, auf dass ihr noch eine weitere Strähne wirr vom Kopf abstand. Dann schien sie sich plötzlich zu besinnen. Sie wandte sich an Frauke: »Ist ein echt heißer Stoff. Es geht um Frauen. Du weißt schon: Verlieben, Entlieben, Kampf, Streit, Versöhnung. Ein Spiegel der Szene, verstehst du? Fast jede der Romanfiguren besitzt eine Art Vorlage in der Realität. Sei also froh, dass wir uns nicht näher kennen, ich würde dich und deinen schnuckeligen Hund bestimmt in einer Geschichte verbraten.«
Fraukes verdutzte Miene klärte sich bei dem euphorischen Lob gen Loulou deutlich auf. Wer ihren Hund schnuckelig nannte, hatte eindeutig einen Stein bei ihr im Brett, auch wenn diese Jemand reichlich merkwürdig daherredete.
»Authentizität ist die Würze
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