Die Schönen und Verdammten
GLORIA , frisch geschminkt und nach Bewunderung und Unterhaltung gierend, wieder zur Gesellschaft, gefolgt von ihren beiden Freundinnen. Einige Augenblicke lang zerfällt das Gespräch völlig. GLORIA ruft ANTHONY beiseite.
GLORIA Bitte trink nicht so viel, Anthony.
ANTHONY Wieso?
GLORIA Du wirst so einfältig, wenn du betrunken bist.
ANTHONY Meine Güte! Was ist denn jetzt schon wieder los?
GLORIA nach einer Pause, in der ihre Augen kühl in die seinen schauen Allerhand. Zunächst einmal, warum bestehst du darauf, für alles aufzukommen? Die Herrschaften haben beide mehr Geld als du!
ANTHONY Aber Gloria! Sie sind meine Gäste!
[351] GLORIA Deswegen brauchst du noch längst nicht die Flasche Champagner zu bezahlen, die Rachael Barnes zerschlagen hat. Dick wollte die Rechnung für die zweite Droschke begleichen, und du hast ihn nicht gelassen.
ANTHONY Aber Gloria…
GLORIA Wenn wir schon, um unsere laufenden Unkosten zu decken, dauernd Wertpapiere verkaufen müssen, wird es Zeit, dass wir an überflüssigen Geschenken sparen. Außerdem wäre ich Rachael Barnes gegenüber nicht ganz so aufmerksam. Ihr Mann sieht das nicht gern, ebensowenig wie ich!
ANTHONY Aber Gloria…
GLORIA äfft ihn schneidend nach »Aber Gloria!« Das ist mir diesen Sommer ein bisschen zu oft vorgekommen – bei jeder hübschen Frau, der du begegnest. Es hat sich zu einer Art Gewohnheit ausgewachsen, und ich lasse mir das nicht bieten! Wenn du herumflirten kannst, kann ich es auch. Daraufhin, als nachträgliche Überlegung Übrigens, dieser Fred ist doch nicht etwa ein zweiter Joe Hull, oder?
ANTHONY Du lieber Himmel, nein! Wahrscheinlich ist er hierhergekommen, damit ich bei Großvater ein bisschen Geld für seine Schäfchen lockermache.
GLORIA wendet sich von einem äußerst niedergeschlagenen ANTHONY ab und kehrt zu ihren Gästen zurück.
Als es neun Uhr geworden ist, lassen sich diese in zwei Gruppen unterteilen – diejenigen, die unablässig getrunken haben, und diejenigen, die wenig oder nichts zu sich genommen haben. Zur zweiten Gruppe gehören die BARNES , MURIEL und FREDERICK E. PARAMORE .
[352] MURIEL Ich wünschte, ich könnte schreiben. Ich habe so Ideen, aber nie scheine ich in der Lage zu sein, sie in Worte zu fassen.
DICK Wie Goliath sagte, verstand er zwar, wie David zumute war, konnte sich aber nicht ausdrücken. Diese Bemerkung haben sich die Philister sofort als Wahlspruch zu eigen gemacht.
MURIEL Ich verstehe nicht ganz. Auf meine alten Tage werde ich noch richtig dumm.
GLORIA die wie ein überglücklicher Engel auf unsicheren Beinen zwischen den Gästen umherschwebt Falls jemand Hunger hat, auf dem Esszimmertisch steht französisches Gebäck.
MAURY Kann die viktorianischen Formen nicht ausstehen.
MURIEL hochbelustigt Ich würde sagen, du bist ganz schön blau, Maury.
Ihr Busen ist nach wie vor ein Straßenpflaster, den sie den Hufen so manch eines vorbeikommenden Hengstes darbietet in der Hoffnung, seine Hufeisen möchten in der Dunkelheit wenigstens einen Funken Romanze losschlagen…
Unterdes sind die Herren BARNES und PARAMORE in ein Gespräch über ein bekömmliches Thema versenkt, so bekömmlich, dass MR. BARNES schon seit einiger Zeit versucht, sich in die verpestetere Luft, die im mittleren Salon herrscht, fortzustehlen. Ob PARAMORE aus Höflichkeit oder aus Neugier im grauen Haus verweilt oder aber weil er irgendwann eine soziologische Abhandlung über die Dekadenz des amerikanischen Lebens abfassen will, bleibt fraglich.
[353] MAURY Fred, ich dachte immer, du wärst sehr liberal.
PARAMORE Bin ich auch.
MURIEL Ich auch. Ich finde, eine Religion taugt so viel wie die andere.
PARAMORE Jede Religion hat ihr Gutes.
MURIEL Ich bin Katholikin, aber wie ich immer sage, arbeite ich nicht weiter daran.
PARAMORE in einem ungeheuren Ausbruch religiöser Toleranz Das katholische Bekenntnis ist eine sehr – eine sehr starke Religion.
MAURY Na, ein so liberaler Mensch sollte sich aber die höhere Ebene der Empfindungen und den anregenden Optimismus, die in diesem Cocktail stecken, zu Gemüte führen.
PARAMORE nimmt den Drink etwas trotzig entgegen Danke, ich versuch’s mal – mit einem.
MAURY Mit einem? Das ist ja wohl die Höhe! Wir sind bei einem Klassentreffen des Jahrgangs 1910, und du schlägst es aus, dich wenigstens ein bisschen zu betütern? Also wirklich!
Here’s a health to King Charles,
Here’s a health to King Charles,
Bring the bowl that you boast…
PARAMORE stimmt herzhaft
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