Die Schönen und Verdammten
ein.
MAURY Fülle den Kelch, Frederick. Wie du weißt, ist hienieden alles den Vorhaben der Natur unterworfen, und mit dir hat sie vor, dich in einen ausgelassenen Trunkenbold zu verwandeln.
PARAMORE Wenn jemand trinken kann wie ein Gentleman…
[354] MAURY Was ist das überhaupt, ein Gentleman?
ANTHONY Ein Mann, der niemals Anstecknadeln unter seinem Mantelaufschlag trägt.
MAURY Unsinn! Der gesellschaftliche Rang eines Mannes wird von der Brotmenge bestimmt, die er mit seinem Sandwich isst.
DICK Ein Gentleman gibt der Erstausgabe eines Buches den Vorzug vor der Spätausgabe einer Tageszeitung.
RACHAEL Ein Mann, der den Rauschgiftsüchtigen nicht einmal spielt.
MAURY Ein Amerikaner, der einen englischen Butler glauben machen kann, er sei ein Gentleman.
MURIEL Ein Mann aus guter Familie, der Yale, Harvard oder Princeton besucht hat, der Geld hat und gut tanzt und so weiter.
MAURY Endlich – die vollgültige Definition! Damit ist die von Kardinal Newman hinfällig.
PARAMORE Ich denke, wir sollten uns der Frage mit etwas mehr Weitblick nähern. War es nicht Abraham Lincoln, der gesagt hat, ein Gentleman sei jemand, der niemandem Schmerzen zufügt?
MAURY Dieser Ausspruch wird, glaube ich, General Ludendorff zugeschrieben.
PARAMORE Jetzt machst du aber Witze.
MAURY Trink doch noch einen.
PARAMORE Lieber nicht. Senkt seine Stimme, so dass nur MAURY ihn hört Wirst du mir glauben, wenn ich dir sage, dass das erst der dritte Drink meines Lebens ist?
DICK setzt das Grammophon in Gang, was MURIEL dazu hinreißt, aufzustehen und sich, die Ellbogen gegen die [355] Rippen gestützt, die Unterarme wie Flossen vom Körper abgewinkelt, hin und her zu wiegen.
MURIEL Ach, kommt, wir nehmen die Teppiche weg und tanzen!
Der Vorschlag wird von ANTHONY und GLORIA mit innerlichem Aufstöhnen und einem Lächeln säuerlichen Einverständnisses quittiert.
MURIEL Macht schon, ihr Faulpelze. Bewegt euch und räumt die Möbel aus dem Weg.
DICK Warte, bis ich ausgetrunken habe.
MAURY fest entschlossen, an PARAMORE gewandt Weißt du, was? Wir schenken uns jeder noch mal ein, trinken aus– und dann tanzen wir.
Eine Welle des Protestes, die sich am Fels von MAURYS Hartnäckigkeit bricht.
MURIEL Mir dreht sich alles im Kopf.
RACHAEL hintergründig zu ANTHONY Hat Gloria dir geraten, dich von mir fernzuhalten?
ANTHONY verwirrt Aber nicht doch. Natürlich nicht.
RACHAEL lächelt ihn undurchdringlich an. Zwei Jahre haben ihr zu einer Art herber, wohlgepflegter Schönheit verholfen.
MAURY mit erhobenem Glas Auf die Niederlage der Demokratie und den Untergang des Christentums!
MURIEL Also wirklich!
Sie wirft MAURY einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu, dann trinkt sie.
Alle trinken – mehr oder weniger angestrengt.
MURIEL Räumt den Tanzboden!
Es scheint unvermeidlich, dass dieser Prozess [356] durchgestanden werden muss, also beteiligen sich ANTHONY und GLORIA beim großen Tischerücken, Stühlestapeln, Teppichaufrollen und Lampenzerschlagen. Als das Mobiliar schließlich in hässlichen Haufen an den Wänden aufeinandergestapelt ist, kommt eine Fläche von vielleicht drei Quadratmetern zum Vorschein.
MURIEL Ah, und jetzt Musik!
MAURY Tana wird das Liebeslied eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes zum Besten geben.
Inmitten einiger Verwirrung, bedingt durch die Tatsache, dass TANA sich bereits zur Nachtruhe zurückgezogen hat, gehen die Vorbereitungen für die Darbietung vonstatten. Der nachtgewandete Japaner wird, Flöte in der Hand, in eine Bettdecke gehüllt und auf einem der Tische in einen Stuhl gesetzt, wo er eine lächerliche und bizarre Figur abgibt. PARAMORE ist sichtlich angetrunken und von der Idee so hingerissen, dass er die Wirkung noch erhöht, indem er stolprige Slapstickschritte vortäuscht und hin und wieder sogar einen Schluckauf riskiert.
PARAMORE zu GLORIA Darf ich bitten?
GLORIA Nein, mein Herr! Ich will den Schwanentanz tanzen. Können Sie den?
PARAMORE Aber sicher. Ich kann alles.
GLORIA Gut. Sie fangen auf dieser Seite des Zimmers an und ich auf der hier.
MURIEL Los geht’s!
Dann entweicht aus den Flaschen kreischend die Tollheit: TANA wirft sich in das dunkle Labyrinth des Eisenbahnliedes, und das klagende »Tuutel-Tuut-tuut« mit seinen melancholischen Kadenzen vermischt sich mit dem Poor [357] Butterfly (dingelingeling), by the blossoms waiting des Grammophons. Vom vielen Lachen ist MURIEL so geschwächt, dass sie sich nur noch verzweifelt an BARNES klammern kann, der, mit der unheilvollen
Weitere Kostenlose Bücher