Die Schönen und Verdammten
Routineangelegenheiten waren. Da war zum Beispiel Calvin Boyd, der, obwohl eben erst von der Medizinischen Fakultät abgegangen, eine neue Behandlungsmethode gegen den Typhus entdeckt hatte, nach Europa übergesetzt war und einige Auswirkungen der Zivilisation linderte, welche die Großmächte über Serbien gebracht hatten; da war Eugene Bronson, dessen Artikel in The New Democracy ihn als Mann von Ideen auswiesen, die über vulgäre Tagespolitik wie über öffentliche Hysterie weit hinausragten; da war ein Mann namens Daly, der von der Fakultät einer redlichen Universität suspendiert worden war, weil er im Seminarraum Marxsche Lehrsätze verkündet hatte; die [372] maßgeblichen Persönlichkeiten seiner Zeit in Kunst, Wissenschaft und Politik traten Anthony aus den Zeilen entgegen – selbst Severance gehörte dazu, der Abwehrspieler, der bei der Fremdenlegion an der Aisne recht stilvoll und sauber sein Leben geopfert hatte.
Er ließ das Heft sinken und dachte eine Weile über diese so unterschiedlichen Männer nach. Als er noch integer war, hätte er seine Haltung bis zum Letzten verteidigt – ein Epikur im Nirwana, und er hätte ausgerufen, Kämpfen sei Glauben und Glauben sei Beschränkung. Die Aussicht auf Unsterblichkeit reizte ihn etwa ebenso dazu, zum Kirchgänger zu werden, wie ihn die Angst vor dem Unglücklichsein dazu veranlasste, in die konkurrenzreiche Lederbranche einzusteigen. Aber im Augenblick kannte er derlei feine Skrupel nicht. In diesem Herbst, zu Beginn seines neunundzwanzigsten Lebensjahres, neigte er dazu, seinen Geist vor vielen Dingen zu verschließen und nicht tiefer in Beweggründe und erste Ursachen einzudringen, vor allem aber sehnte er sich leidenschaftlich nach einer Zuflucht vor der Welt und vor sich selbst. Er hasste es, allein zu sein, so wie er sich oft davor fürchtete, mit Gloria allein zu sein – wir hatten es bereits erwähnt.
Wegen des Abgrunds, der sich seit dem Besuch seines Großvaters vor ihm aufgetan hatte, und der daraus folgenden Abscheu vor seiner neuen Lebensführung konnte es nicht ausbleiben, dass er sich in der plötzlich feindselig gewordenen Stadt nach Freunden umtat und nach der Umgebung, die ihm früher als die wärmste und sicherste erschienen war. Sein erster Schritt bestand in dem verzweifelten Versuch, sein altes Apartment wiederzubekommen.
[373] Im Frühjahr 1912 hatte er für siebzehnhundert pro Jahr einen Mietvertrag über vier Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit unterzeichnet. Im vergangenen Mai war der Vertrag ausgelaufen. Als er die Zimmer angemietet hatte, boten diese lediglich Entwicklungsmöglichkeiten, die als solche kaum wahrzunehmen waren; Anthony jedoch erkannte ihr Potential und legte vertraglich fest, dass er und der Hauswirt eine bestimmte Summe für Renovierungen aufwenden sollten. In den vergangenen vier Jahren hatten die Mieten angezogen, und als Anthony im Frühjahr auf eine Verlängerung verzichtete, merkte der Vermieter, ein gewisser Mr. Sohenberg, dass er für das inzwischen reizvoll gewordene Apartment einen sehr viel höheren Preis erzielen konnte. So bot Sohenberg, als Anthony ihn im September auf das Thema ansprach, einen Mietvertrag für zweitausendfünfhundert im Jahr mit einer dreijährigen Laufzeit an. Das fand Anthony unverschämt. Bedeutete es doch, dass mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete draufgehen würde. Vergebens argumentierte er, dass er die Zimmer verschönert habe, mit seinem Geld und seinen Ideen zur Raumaufteilung.
Vergebens bot er zweitausend Dollar, zweitausendzweihundert, obwohl er sie nur mit Mühe erübrigen konnte – Mr. Sohenberg ließ sich nicht erweichen. Anscheinend zogen noch zwei weitere Gentlemen das Apartment in Betracht. Wohnungen dieser Art seien sehr gefragt, und es wäre schwerlich ein gutes Geschäft, wenn er sie Mr. Patch schenken würde. Außerdem hätten sich von den anderen Mietern im vergangenen Winter etliche über Lärm beschwert – Singen und Tanzen zu vorgerückter Stunde, etwas in diesem Sinne.
[374] Zornentbrannt eilte Anthony zurück ins Ritz, um Gloria seine Niederlage zu vermelden.
»Ich kann mir genau vorstellen«, tobte sie, »wie du klein beigegeben hast!«
»Was hätte ich denn sagen sollen?«
»Du hättest ihm Bescheid sagen können, was er ist. Ich hätte mir das nicht gefallen lassen. Kein anderer Mann auf der Welt hätte sich das gefallen lassen! Du lässt dich von anderen herumkommandieren, betrügen, einschüchtern und übervorteilen, als
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