Die Schönen und Verdammten
ab.
»Hallo…?« Seine Stimme klang belegt und dumpf. »Ja – ich hatte eine Nachricht hinterlassen. Wer ist da, bitte?… Ja… Nun, es geht um die Erbmasse. Natürlich bin ich interessiert, und da ich keine Benachrichtigung wegen der Testamentseröffnung erhalten habe – dachte ich, dass Sie vielleicht meine Adresse nicht haben… Was?… Ja…«
Gloria sank in die Knie. Die Pausen zwischen Anthonys Worten waren wie Tourniquets, die auf ihrem Herzen festgedreht wurden. Sie ertappte sich dabei, wie sie hilflos die großen Knöpfe eines Samtkissens zwirbelte.
Dann: »Das ist – das ist aber sehr, sehr merkwürdig – das ist sehr merkwürdig – das ist sehr merkwürdig. Nicht einmal eine – eh – Erwähnung oder ein – eh – Grund…?«
Seine Stimme klang dünn und weit fort. Sie stieß einen leisen Laut aus, halb Ächzer, halb Schrei.
»Ja, verstehe… In Ordnung, danke… danke…«
Das Telefon klickte. Als ihr Blick auf den Boden fiel, sah sie, wie seine Füße das Muster eines Sonnenfleckens auf dem Teppich nachzeichneten. Sie stand auf und sah ihn an mit ihren grauen, ruhigen Augen. Im selben Augenblick schlangen sich seine Arme um sie.
[381] »Liebste«, murmelte er heiser, »hat er’s doch tatsächlich fertiggebracht, Gott verfluche ihn!«
Am nächsten Tag
»Wer sind die Erben?«, erkundigte sich Mr. Haight. »Sie verstehen, wenn Sie mir nur so spärlich Auskunft geben können…«
Mr. Haight war hochgewachsen und hatte die glatte Stirn eines Käfers. Man hatte ihn Anthony als zähen und gerissenen Anwalt empfohlen.
»Ich weiß nicht genau«, antwortete Anthony. »Ein Mann namens Shuttleworth, eine Art Schoßhund von ihm, verwaltet die ganze Sache als Testamentsvollstrecker oder Treuhänder oder so ähnlich – alles bis auf die unmittelbaren Zuwendungen zugunsten wohltätiger Stiftungen und die Vorsorge für die Dienerschaft und diese beiden Vettern in Idaho.«
»Vettern welchen Grades?«
»Ach, dritten oder vierten. Habe nicht einmal gewusst, dass es die gibt.«
Mr. Haight nickte vielsagend.
»Und Sie wollen das Testament anfechten?«
»Ich denke, ja«, gestand Anthony hilflos. »Ich will tun, was am meisten Erfolg verspricht – und was das ist, möchte ich gern von Ihnen wissen.«
»Sie wollen, dass das Gericht dem Testament die Bestätigung verweigert?«
Anthony schüttelte den Kopf.
[382] »Da bin ich überfragt. Ich habe keine Ahnung, was für eine Bestätigung das sein soll. Ich will nur meinen Anteil an der Erbschaft.«
»Vielleicht sollten Sie mir mehr Einzelheiten verraten. Wissen Sie zum Beispiel, weshalb der Erblasser Sie enterbt hat?«
»Nun ja…«, begann Anthony. »Wissen Sie, er war ein Apostel der moralischen Erneuerung…«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Mr. Haight humorlos.
»…und er dachte wohl, dass ich nicht viel tauge. Ich bin kein Geschäftsmann geworden, verstehen Sie? Aber dass ich noch bis vergangenen Sommer einer der Erbfolger war, da bin ich mir sicher. Wir hatten ein Haus in Marietta, und eines Abends kam Großvater auf den Gedanken, uns zu besuchen. Er traf ohne Vorankündigung ein, und zufällig war da gerade eine ziemlich ausgelassene Festivität im Gange. Na ja, er hat nur einen Blick hereingeworfen, er und dieser Shuttleworth, dann hat er kehrtgemacht und ist nach Tarrytown zurückgebraust. Danach hat er keinen meiner Briefe mehr beantwortet und mich nicht einmal mehr vorgelassen.«
»Er war ein Befürworter der Prohibition, nicht wahr?«
»Er war alles und jedes – ein richtiger Religionsfanatiker.«
»Wie lange vor seinem Tod hat er die letztwillige Verfügung erlassen, mit der er Sie enterbt hat?«
»Nicht lange – ich meine, nicht vor August.«
»Und Sie glauben, der unmittelbare Grund, weshalb er Ihnen nicht den größten Teil der Erbmasse vermacht hat, war sein Missfallen über die jüngsten Vorkommnisse?«
[383] »Ja.«
Mr. Haight überlegte. Mit welcher Begründung Anthony das Testament anzufechten gedenke?
»Gibt es da nicht eine Bestimmung über bösartige Beeinflussung?«
»Unzulässige Beeinflussung wäre ein Grund – aber sehr schwierig nachzuweisen. Sie müssten zeigen, dass Druck ausgeübt wurde, wodurch der Verstorbene in eine geistige Verfassung versetzt wurde, in der er entgegen den eigenen Absichten über sein Eigentum verfügte…«
»Angenommen, dieser Shuttleworth hat ihn nach Marietta geschleppt, gerade weil er der Meinung war, dass wahrscheinlich eine Art Feier dort stattfand?«
»Das hätte auf den
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