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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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der sich eines Abends ereignete, mag als Indiz dafür dienen, wie angespannt ihre Nerven waren.
    Als sie nach dem Abendessen zu Fuß eine Querstraße entlang nach Hause gingen, bemerkte Anthony an einem Geländer einen Kater auf seinen nächtlichen Streifzügen.
    »Wenn ich eine Katze sehe, verspüre ich immer den Drang, sie zu treten«, sagte er nachlässig.
    »Ich mag Katzen.«
    »Einmal habe ich ihm nachgegeben.«
    »Wann?«
    »Ach, vor Jahren; bevor ich dich kennenlernte. Eines Abends, in der Pause zwischen den Nummern einer Show. Eine kalte Nacht wie heute, und ich war leicht angetrunken – mit das erste Mal, dass ich angetrunken war«, fügte er hinzu. »Ich schätze, das arme kleine Luder suchte einen Schlafplatz, und mir war so elend zumute, dass mich die Lust überkam, es zu treten…«
    »Oh, das arme Kätzchen!«, rief Gloria ergriffen.
    [378] Vom eigenen Erzähltrieb mitgerissen, führte Anthony das Thema weiter aus.
    »Es war ziemlich schlimm«, gab er zu. »Das arme kleine Vieh drehte sich um und sah mich ziemlich kläglich an, als hoffe es, in den Arm genommen und zärtlich gestreichelt zu werden – ein kleiner Kater war es –, aber bevor er wusste, wie ihm geschah, holte ich zu einem heftigen Fußtritt aus und erwischte ihn an seinem kleinen Rücken…«
    »Oh!« Glorias Ausruf klang ganz bekümmert.
    »Die Nacht war so kalt«, fuhr er ungerührt fort und gab sich weiter einen schwermütigen Anstrich. »Ich nehme an, von irgendjemandem erwartete er Freundlichkeit, und nun wurde ihm wehgetan…«
    Er brach abrupt ab – Gloria schluchzte. Sie waren zu Hause angekommen, und als sie das Apartment betraten, warf sie sich aufs Sofa und weinte, als habe er sie in ihrer innersten Seele getroffen.
    »Ach, das arme kleine Kätzchen«, rief sie jammervoll, »das arme kleine Kätzchen! So kalt…«
    »Gloria…«
    »Komm bloß nicht näher! Bitte, komm bloß nicht näher! Du hast das weiche, kleine Kätzchen umgebracht.«
    Gerührt kniete sich Anthony neben sie hin.
    »Liebste«, sagte er. »O Gloria, Liebling. Es ist nicht wahr. Ich habe doch alles nur erfunden – Wort für Wort.«
    Aber sie wollte ihm nicht glauben. Etwas an den von ihm geschilderten Einzelheiten brachte sie zum Weinen, und so weinte sie sich an diesem Abend in den Schlaf, weinte um das Kätzchen, um Anthony, sich selbst, um den Schmerz, die Bitternis und Grausamkeit der ganzen Welt.
    [379] Das Ableben eines amerikanischen Moralisten
    Der alte Adam starb eines Mitternachts Ende November mit einer frommen Schmeichelei für Gott auf den schmalen Lippen. Er, dem man so katzbuckelnd begegnet war, schied dahin, indem er der Allmächtigen Abstraktion schönredete, die er in den wollüstigeren Augenblicken seiner Jugend erzürnt zu haben vermeinte. Es verlautete, dass er mit der Gottheit eine Art Waffenstillstand ausgehandelt habe, dessen Einzelheiten nicht an die Öffentlichkeit drangen, wenngleich gemunkelt wurde, dass dazu auch eine größere Barzahlung gehöre. Sämtliche Zeitungen druckten seinen Lebenslauf, und zwei brachten kurze Leitartikel über seinen wahren Wert und seine Position im Drama der Industrialisierung, mit der er groß geworden war. Zurückhaltend berichteten sie über die Reformen, die er finanziert und gefördert habe. Erinnerungen an Anthony Comstock und Cato den Älteren wurden aufgewärmt und geisterten wie Schreckgespenster durch die Spalten der Zeitungen.
    Kein Blatt ließ unerwähnt, dass er einen einzigen Enkel hinterlasse, Anthony Comstock Patch, New York.
    Die Beisetzung erfolgte im Familiengrab zu Tarrytown. Anthony und Gloria fuhren in der vordersten Equipage, zu besorgt, um sich grotesk vorzukommen, beide verzweifelt bemüht, in den Mienen der Gefolgsleute, die seinem Ende beigewohnt hatten, Anzeichen ihres künftigen Geschickes zu lesen.
    Anstandshalber warteten sie eine unruhevolle Woche ab, und als Anthony dann immer noch keine Benachrichtigung erhalten hatte, rief er den Anwalt seines Großvaters an. [380] Mr. Brett war nicht da – er wurde in einer Stunde zurückerwartet. Anthony hinterließ seine Telefonnummer.
    Es war der letzte Tag im November und klirrend kalt. Eine glanzlose Sonne lugte bleich zum Fenster herein. Während sie, vorgeblich mit Lektüre beschäftigt, auf den Anruf warteten, schien die Atmosphäre, drinnen wie draußen, der Natur bewusst menschliche Züge zu verleihen. Nach einer schier endlosen Zeitspanne klingelte es plötzlich, Anthony fuhr heftig zusammen und nahm den Hörer

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