Die Schönen und Verdammten
Sonnenstrahlen, die Sonne ohne Wärme, der Regen ohne Frische. An diesem Tag verließen sie das graue Haus, das die Blütezeit ihrer Liebe erlebt hatte. Vier Schrankkoffer [366] und drei riesige Umzugskisten standen hochgetürmt in dem nun leergeräumten Zimmer, wo sie sich noch zwei Jahre zuvor wohlig hingelümmelt, sich fernen, trägen, angenehmen Träumereien hingegeben hatten. Das leere Zimmer hallte. Gloria – sie trug ein neues braunes Kleid mit Pelzbesatz – saß schweigend auf einer der Kisten, und Anthony lief nervös rauchend auf und ab, während sie auf den Möbelwagen warteten, der ihre Habe in die Stadt schaffen würde.
»Was ist das?«, fragte sie und deutete auf ein paar Alben, die sich auf einer der Umzugskisten stapelten.
»Das ist meine alte Briefmarkensammlung«, gestand er verlegen. »Ich hatte vergessen, sie zu packen.«
»Anthony, das ist doch albern, die mitzuschleppen.«
»Na ja, ich hatte sie mir letztes Frühjahr bei unserem Auszug aus dem Apartment angesehen und mich entschlossen, sie nicht ins Lager zu geben.«
»Kannst du sie nicht verkaufen? Haben wir nicht genug Trödel?«
»Tut mir leid«, sagte er demütig.
Unter donnerndem Rattern kam der Möbelwagen angerollt. Gloria drohte den vier Wänden trotzig mit der Faust.
»Ich bin so froh, hier herauszukommen«, rief sie, »so froh! Mein Gott, wie ich dieses Haus hasse!«
Und so fuhr die glanzvolle und schöne Dame mit ihrem Gemahl nach New York. Gleich im Zug, der sie davontrug, zankten sie sich – sie gab ihre bitteren Worte mit der Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Unvermeidlichkeit der Bahnstationen von sich, die sie passierten.
[367] »Sei mir nicht böse«, bettelte Anthony kläglich. »Schließlich haben wir nichts außer einander.«
»Und meistens nicht einmal das!«, rief Gloria.
»Wann denn nicht?«
»Ganz oft – angefangen mit einem gewissen Vorfall auf dem Bahnsteig in Redgate.«
»Du willst doch wohl nicht sagen…«
»Nein«, unterbrach sie ihn kalt, »ich brüte nicht darüber nach. Die Sache kam und ging – aber im Vorübergehen hat sie etwas mitgenommen.«
Sie schloss abrupt. Anthony saß schweigend da, verwirrt, bedrückt. Ein trist anzusehendes Bahnhofsgelände folgte auf das andere: Mamaroneck, Larchmont, Rye, Pelham Manor, abgelöst von kahlem, schäbigem Ödland, das vergebens als Landschaft posierte. Ihm fiel ein Sommermorgen ein, an dem sie beide auf der Suche nach Glück von New York aufgebrochen waren. Vielleicht hatten sie gar nicht erwartet, es zu finden, doch die Suche selbst war beglückender gewesen als alles, was er jetzt noch erwartete. Das Leben, so schien es, bestand darin, sich mit Requisiten zu umstellen – andernfalls war es eine Katastrophe. Es gab kein Ruhen und kein Rasten. Seine Sehnsucht, sich treiben zu lassen und zu träumen, hatte weder Hand noch Fuß; niemand trieb einfach dahin, es sei denn einem Mahlstrom entgegen, niemand träumte, ohne dass sich seine Träume nicht in ein groteskes Alpdrücken aus Entschlusslosigkeit und Bedauern verwandelten.
Pelham! In Pelham hatten sie einen Streit gehabt, weil Gloria unbedingt ans Steuer wollte. Und als sie mit ihrem Füßchen auf das Gaspedal trat, machte der Wagen einen [368] jähen Satz nach vorn, und ihre Köpfe schnellten zurück wie Marionetten, die an einer einzigen Schnur geführt werden.
Die Bronx – in der Sonne, die jetzt aus einem leuchtend weiten Himmel und in taumelnden Karawanen aus Licht in die Straßen sank, glitzerten die Häuser auf. New York, nahm er an, war seine Heimatstadt – Metropole des Luxus und der Rätsel, abwegiger Hoffnungen und exotischer Träume. Hier in den Vorstädten ragten abstruse Stuckpaläste in den kühlen Sonnenuntergang, verharrten einen Augenblick lang in kühler Unwirklichkeit und glitten weg in die Ferne, gefolgt vom verworrenen Labyrinth des Harlem River. Durch die immer tiefere Abenddämmerung fuhr der Zug über und an einem halben Hundert fröhlich schwitzender Straßen an der Upper East Side entlang, deren jede sich wie der Abstand zwischen den Speichen eines riesigen Rades am Abteilfenster vorbeischob und den Blick auf das Kunterbunt armer Kinder freigab, die in fieberhafter Betriebsamkeit wie lebhafte Ameisen auf Bahnen aus rotem Sand umherwimmelten. Aus den Fenstern der Mietshäuser lehnten, an diesem schmutzfarbenen Himmel wie Sternbilder, rundliche, mondförmige Mütter; Frauen wie dunkle, ungeschliffene Juwelen, Frauen wie Gemüse, Frauen wie große Säcke voll widerlicher
Weitere Kostenlose Bücher