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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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führten sie es auf die allgemeine Mittellosigkeit der »Freunde« zurück, die mit ihnen umhergezogen waren.
    Nicht selten geschah es, dass ihnen die aufrichtigeren unter ihren Freunden mitten im Verlauf einer Feierei Vorhaltungen machten und ein düsteres Ende prophezeiten: den Verlust von Glorias »Aussehen« und von Anthonys »Konstitution«. Natürlich hatte sich die Geschichte von dem hastig abgebrochenen Trinkgelage in Marietta in allen Einzelheiten herumgesprochen – »Muriel will es ja gar nicht jedem weitererzählen, den sie kennt«, sagte Gloria zu Anthony, »aber sie glaubt, jeder, dem sie es erzählt, sei der Einzige, dem sie es erzählt« – und war, durchsichtig verhüllt, zum Stadtgespräch ersten Grades geworden. Als die Klauseln von Adam Patchs Letztem Willen bekannt wurden und die Zeitungen Artikel über Anthonys Anfechtungsklage druckten, war die Geschichte zu Anthonys grenzenloser Schande an ihren krönenden Abschluss gelangt. Von allen möglichen Seiten hörten sie Gerüchte über sich, Gerüchte, die in der Regel zwar auf einem Körnchen Wahrheit beruhten, aber mit lachhaften oder gehässigen Details ausgeschmückt waren.
    [387] Nach außen zeigten sie keinerlei Anzeichen von Verschleiß. Mit sechsundzwanzig Jahren war Gloria noch immer dieselbe, die sie mit zwanzig gewesen war; ihr Teint der frische, zarte Rahmen für ihre klaren Augen; ihr Haar, das sich von Korngelb allmählich zu einem dunkleren Rotgold verfärbt hatte, von kindlichem Glanz; ihr schlanker Körper dem einer Nymphe gleich, die tänzelnd durch orphische Haine springt. Wenn sie durch ein Hotelfoyer schritt oder im Theater den Gang entlangging, folgten ihr gebannten Blicks die Augen der Männer, Dutzender von ihnen. Männer baten darum, ihr vorgestellt zu werden, verfielen in einen anhaltenden Zustand ungeheuchelter Bewunderung, machten ihr unverkennbar den Hof – denn noch immer war sie eine Frau von exquisiter, von geradezu unglaublicher Schönheit. Anthony für sein Teil hatte äußerlich eher noch gewonnen als verloren; in sein Gesicht war ein unbestimmbar tragischer Zug getreten, der mit seiner adretten, makellosen Person auf romantische Weise kontrastierte.
    Zu Beginn des Winters, als alle Gespräche sich um den Kriegseintritt Amerikas drehten und Anthony einen verzweifelten und aufrichtig gemeinten Anlauf unternahm zu schreiben, kam Muriel Kane nach New York und besuchte sie unverzüglich. Wie Gloria schien sie sich überhaupt nicht zu verändern. Sie kannte den neuesten Jargon, tanzte die neuesten Tänze und sprach über die neuesten Lieder und Stücke mit demselben Feuereifer wie damals in ihrer ersten Saison als New Yorker Partygängerin. Ihre Affektiertheit war immer wieder neu, immer wieder wirkungslos; ihre Kleidung ausgefallen; ihr schwarzes Haar neuerdings, wie Glorias, kurz geschnitten. »Ich bin zum Winterball des [388] Colleges in New Haven heraufgekommen«, verkündete sie, ihr entzückendes Geheimnis preisgebend. Obwohl sie sicher älter war als alle ihre männlichen Kommilitonen, gelang es ihr doch immer, sich irgendwelche Einladungen zu verschaffen, in der unbestimmten Erwartung, auf der nächsten Party werde es endlich zu jener Liebelei kommen, die vor dem Traualtar endet.
    »Wo bist du denn gewesen?«, erkundigte sich Anthony, unfehlbar belustigt.
    »In Hot Springs. Diesen Herbst ging’s flott und fetzig zu – mehr Männer !«
    »Hast du deine große Liebe gefunden, Muriel?«
    »Was verstehst du unter ›Liebe‹?« Das war die rhetorische Frage des Jahres. »Ich will dir was sagen –« Sie wechselte abrupt das Thema. »Eigentlich geht es mich ja nichts an, aber ich glaube, es ist Zeit, dass ihr zwei euch mal mäßigt.«
    »Aber das tun wir doch.«
    »Und wie!«, höhnte sie schelmisch. »Wo ich gehe und stehe, höre ich von euren Ausschweifungen. Ich kann euch sagen, es ist ganz schön unangenehm, für euch geradestehen zu müssen.«
    »Du brauchst dich nicht weiter zu bemühen«, versetzte Gloria kalt.
    »Aber Gloria«, verwahrte sie sich, »du weißt, dass ich eine deiner besten Freundinnen bin.«
    Gloria schwieg.
    Muriel fuhr fort: »Es ist nicht so sehr die Vorstellung, dass eine Frau trinkt, aber Gloria ist so hübsch, und so viele Leute kennen sie überall vom Sehen, dass es natürlich auffällt…«
    [389] »Was hast du denn jetzt schon wieder gehört?«, wollte Gloria wissen, und ihre Würde unterlag ihrer Neugier.
    »Na, beispielsweise, dass die Party in Marietta Anthonys Großvater das

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