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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Leben gekostet hat.«
    Im Nu war das Ehepaar starr vor Ärger.
    »Das ist ja wirklich unerhört!«
    »Aber so wird gemunkelt«, beharrte Muriel störrisch.
    Anthony ging im Zimmer auf und ab. »Das ist lächerlich«, erklärte er. »Dieselben Leute, die wir zu Partys einladen, verbreiten die Geschichte, als wär’s ein toller Witz – und am Ende kommt sie in Form zu uns zurück.«
    Gloria ließ ihren Finger durch eine rötliche Locke gleiten, die sich gelöst hatte. Muriel leckte, während sie sich ihre nächste Bemerkung zurechtlegte, an ihrem Schleier.
    »Ihr solltet ein Kind haben.«
    Gloria sah müde auf.
    »Das können wir uns nicht leisten.«
    »Sämtliche Slumbewohner haben Kinder«, sagte Muriel triumphierend.
    Anthony und Gloria tauschten ein Lächeln. Sie hatten das Stadium erreicht, in dem ein heftiger Streit nicht mehr ausgetragen wurde, sondern weiterschwelte und in Abständen wieder aufloderte oder aus lauter Gleichgültigkeit von selbst erlosch – aber Muriels Besuch schmiedete sie vorübergehend wieder zusammen. Wenn sich ein Dritter über den mangelnden Komfort äußerte, in dem sie lebten, spornte er sie an, der feindlichen Welt gemeinsam entgegenzutreten. Von ihnen selbst ging nur noch selten ein Impuls zur Versöhnung aus.
    Anthony stellte fest, dass er einen Zusammenhang [390] zwischen seinem Leben und dem des nächtlichen Fahrstuhlführers im Etagenhaus sah, eines blassen, zottelbärtigen Mannes von etwa sechzig Jahren, der so tat, als sei er über seine Stellung erhaben. Vermutlich hatte er die Stelle aufgrund ebendieser Eigenschaft ergattert; sie machte aus ihm eine denkwürdige und erschütternde Gestalt des Misserfolgs. Anthony erinnerte sich ohne Heiterkeit an einen alten Witz über Fahrstuhlführer, deren Karriere einem beständigen Auf und Ab unterworfen sei – auf jeden Fall handelte es sich um ein unendlich ödes Leben des Eingepferchtseins. Jedesmal, wenn Anthony den Fahrstuhl betrat, wartete er mit angehaltenem Atem auf den Spruch des alten Mannes: »Schätze, heute kriegen wir ein bisschen Sonnenschein ab.« Anthony musste denken, wie wenig Regen oder Sonnenschein der Mann genießen würde, eingeschlossen, wie er war, in seinen engen, schmalen Käfig in dem rußgeschwärzten, fensterlosen Treppenhaus.
    Seine düstere Gestalt gewann tragische Größe durch die Art, wie er aus dem Leben schied, das ihn so schäbig behandelt hatte. Eines Nachts drangen drei bewaffnete junge Männer ein, fesselten ihn und ließen ihn im Keller auf einem Kohlehaufen liegen, während sie den Gepäckraum durchstöberten. Als ihn am nächsten Morgen der Hausmeister fand, hatte er in der Kälte einen Kollaps erlitten. Vier Tage danach starb er an Lungenentzündung.
    Er wurde durch einen schlagfertigen Schwarzen aus Martinique abgelöst, den Anthony verabscheute – er hatte einen unpassenden britischen Akzent und einen Hang zur Kratzbürstigkeit. Der Tod des Alten übte auf ihn etwa dieselbe Wirkung aus wie die Geschichte mit dem Kätzchen auf [391] Gloria. Er erkannte darin die Grausamkeit des Lebens im Allgemeinen und parallel dazu die zunehmende Härte seines eigenen Lebens.
    Anthony schrieb – und endlich ernsthaft. Er war zu Dick gegangen und hatte sich eine Stunde lang eine Erläuterung zu Gemüte geführt, die ihn mit sämtlichen Einzelheiten jener Vorgehensweise vertraut machte, auf die er bislang eher höhnisch herabgesehen hatte. Er brauchte auf der Stelle Geld – inzwischen verkaufte er allmonatlich Anleihen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Dick sprach offen und bestimmt.
    »Was Artikel über literarische Themen in unbekannten Zeitschriften angeht, mit denen könntest du nicht genügend Geld verdienen, um deine Miete zu bezahlen. Wenn jemand humoristisches Talent hat oder die Chance, eine großangelegte Biographie zu schreiben, oder irgendwelches Spezialwissen, kann er schon das große Geld machen. Aber für dich kommt doch nur die schöngeistige Literatur in Frage. Du sagst, du brauchst sofort Geld?«
    »Allerdings.«
    »Also, bevor du mit einem Roman Geld verdienst, vergehen anderthalb Jahre. Versuch dich lieber an ein paar unterhaltsamen Kurzgeschichten. Übrigens, sofern sie nicht außergewöhnlich brillant sind, müssen sie lustig sein und mit schweren Geschützen auffahren, wenn sie dir Geld einbringen sollen.«
    Anthony musste an Dicks jüngste Veröffentlichungen denken, die in einer bekannten Monatsschrift erschienen waren. Diese handelten hauptsächlich von den lächerlichen

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