Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
Aktionen einer Schicht von Hohlköpfen, die, wie einem versichert [392] wurde, Mitglieder der New Yorker Gesellschaft waren, und drehten sich in der Regel um die Frage der Unberührtheit der Protagonistin, mit pseudosoziologischen Untertönen über die »verrückten Mätzchen der Vierhundert«.
    »Aber deine Geschichten…«, platzte Anthony fast unwillkürlich heraus.
    »Ach, das ist was anderes«, behauptete Dick zu Anthonys Verblüffung. »Ich habe einen Ruf, verstehst du, von mir erwartet man, dass ich mich mit gewichtigen Themen befasse.«
    Anthony fuhr innerlich zusammen, war doch dieser Bemerkung zu entnehmen, wie tief Richard Caramel gesunken war. Glaubte er allen Ernstes, diese furchtbaren Ergüsse seien so gut wie sein erster Roman?
    Anthony ging zurück in sein Apartment und machte sich ans Werk. Er stellte fest, dass es kein Leichtes war, optimistisch zu bleiben. Nach einem halben Dutzend vergeblicher Anläufe ging er in die öffentliche Bibliothek und nahm sich die Ablagen einer beliebten Zeitschrift vor. Besser gerüstet, vollendete er sodann seine erste Story, Das Diktaphon des Schicksals. In ihr verarbeitete er einen der wenigen Eindrücke, die ihm von seinen sechs Wochen Wall Street im Vorjahr geblieben waren. Sie hatte die glückliche Geschichte eines Laufburschen zum Inhalt, der rein zufällig eine wunderschöne Melodie ins Diktaphon summt. Die Tonwalze wird vom Bruder seines Chefs, einem bekannten Musicalproduzenten, gefunden – der sie aber gleich wieder verliert. Der Hauptteil der Story galt der Jagd nach der verschwundenen Walze und der schließlichen Verehelichung des edlen Laufburschen (inzwischen erfolgreicher Komponist) mit [393] Miss Rooney, der tugendsamen Stenographin, ihres Zeichens halb Jeanne d’Arc und halb Florence Nightingale.
    Nach seinem Verständnis schien etwas Derartiges den Wünschen der Zeitschriften zu entsprechen. Als Protagonisten führte er die herkömmlichen Bewohner der rosa-blauen Literatur vor und verstrickte sie in einen süßlichen Plot, der nicht einmal einem Einwohner von Marietta anstößig vorgekommen wäre. Er hatte die Story mit doppeltem Zeilenabstand tippen lassen – Letzteres auf Anraten eines Büchleins von R. Meggs Widdlestien, Schriftstellerischer Erfolg leicht gemacht, in welchem dem ambitionierten Klempner versichert wurde, wie sinnlos es sei, sich abzuschuften, wo er doch nach einem nur sechsstündigen Lehrgang mindestens tausend Dollar im Monat verdienen könne.
    Nachdem er der gelangweilten Gloria die Geschichte vorgelesen und ihr die denkwürdige Bemerkung entlockt hatte, sie sei »besser als eine Menge sonstiges Zeug, das veröffentlicht wird«, fügte er satirisch das Pseudonym »Gilles de Sade« an, legte den entsprechenden Rückumschlag bei und gab den Brief auf.
    Nach diesem ungeheuerlichen Schöpfungsakt beschloss er, die Reaktion auf seine erste Geschichte abzuwarten, bevor er sich an die zweite machen würde. Dick hatte ihm gesagt, er könne mit bis zu zweihundert Dollar rechnen. Sollte sie sich als ungeeignet herausstellen, würde aus dem Schreiben des Redakteurs zweifellos hervorgehen, was für Veränderungen anzuraten seien.
    »Es ist ohne Frage das verabscheuungswürdigste Stück Literatur, das es gibt«, sagte Anthony.
    Allem Anschein nach gab der Redakteur ihm recht. Er [394] schickte das Manuskript mit einer Absage zurück. Anthony sandte es andernorts ein und begann mit einer zweiten Geschichte. Diese hieß Die kleine offene Tür und wurde in drei Tagen hingeschrieben. Es ging darin um das Okkulte: Ein Paar, das sich auseinandergelebt hatte, wurde von einem Medium in einer Vaudeville-Show wieder zusammengeführt.
    Insgesamt waren es sechs, sechs armselige und jämmerliche Schreibversuche eines Mannes, der sich noch nie zuvor der Anstrengung unterzogen hatte, überhaupt irgendetwas Zusammenhängendes zu Papier zu bringen. Keine der Geschichten enthielt auch nur ein Fünkchen Lebenskraft, und ihr Gesamtertrag an glücklichen und geistreichen Einfällen war geringer als der einer durchschnittlichen Zeitungskolumne. In der Zeit ihrer Zirkulation trugen sie ihm alles in allem einunddreißig Absagebriefe ein: Grabsteine für die Päckchen, die er wie Leichen vor seiner Tür fand.
    Mitte Januar starb Glorias Vater, und wieder fuhren sie nach Kansas City – eine traurige Reise, denn Gloria war unentwegt am Brüten, nicht etwa über den Tod ihres Vaters, sondern über den ihrer Mutter. Als Russel Gilberts Nachlass geregelt war,

Weitere Kostenlose Bücher