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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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langsamer. Erstaunlicherweise hielt der Zug von Zeit zu Zeit in der dunklen Landschaft an, übte sich in kurzem, trügerischem Rucken vor und zurück und pfiff gellende Päane in die weite Oktobernacht. Anthony hatte seine Zeitung [409] gerade ausgelesen, Leitartikel, Karikaturen und Kriegsgedichte, da fiel sein Blick auf eine halbe Spalte unter dem Titel Shakespeareville, Kansas. Anscheinend hatte die Handelskammer von Shakespeareville unlängst eine begeisterte Debatte darüber geführt, ob die amerikanischen Soldaten den Namen »Sammies« oder »Kämpfende Christen« tragen sollten. Der Gedanke verursachte ihm Brechreiz. Er ließ die Zeitung sinken, gähnte und ließ seine Gedanken abschweifen. Er fragte sich, warum Gloria zu spät gekommen war. Es schien bereits so lange her – plötzlich fühlte er sich einsam. Er versuchte, sich vorzustellen, aus welchem Blickwinkel sie ihre neue Lage betrachtete, welchen Platz er in ihren Überlegungen noch einnahm. Der Gedanke deprimierte ihn noch mehr – er schlug die Zeitung wieder auf und las weiter.
    Die Mitglieder der Handelskammer von Shakespeareville hatten sich für »Freiheitsfreunde« entschieden.
    Zwei Nächte und zwei Tage lang ratterten sie gen Süden, hatten rätselhafte, unerklärliche Aufenthalte in Gegenden, die ihm wie unfruchtbare Wüsteneien vorkamen, und rasten dann in wichtigtuerischer Hast durch große Städte. Für Anthony war die Launenhaftigkeit des Zuges nur ein Vorbote der Launenhaftigkeit der Heeresleitung überhaupt.
    In den unfruchtbaren Wüsteneien servierte man ihnen im Gepäckwagen Bohnen und Speck. Zuerst wollte er das Essen nicht anrühren und ernährte sich statt dessen kärglich von Milchschokolade, die es in einer Dorfkantine zu kaufen gab. Doch schon am zweiten Tag kam ihm das im Gepäckwagen ausgegebene Essen überraschend schmackhaft vor. [410] Am dritten Morgen verbreitete sich das Gerücht, binnen einer Stunde würden sie an ihrem Bestimmungsort, Camp Hooker, eintreffen.
    Im Waggon war es unerträglich heiß geworden, und die Männer waren alle in Hemdsärmeln. Durch die Fenster schien die Sonne, eine müde, alte Sonne, gelb wie Pergament und beim Vorüberfahren in die Länge gezogen. Sie versuchte, in triumphierenden Vierecken einzufallen, und brachte doch nur verzerrte Kleckse zustande – aber sie brannte entsetzlich gleichmäßig; so sehr, dass es Anthony störte, dass er nicht der Anziehungspunkt all der unbedeutenden Sägemühlen, Bäume und Telegraphenmasten war, die so schnell an ihm vorüberzogen. Draußen strich sie mit heftigem Flimmern über olivfarbene Straßen und falbe Baumwollfelder, hinter denen der ausgefranste Saum eines Waldes verlief, unterbrochen von grau aufragenden Felsen. Der Vordergrund war mit armseligen, notdürftig zusammengeflickten Hütten gesprenkelt, zwischen denen dann und wann ein Vertreter der trägen Bauernschaft von South Carolina oder ein mit missmutigem und verdutztem Blick vorbeischlendernder Schwarzer auftauchte.
    Dann traten die Wälder zurück, und sie rollten in eine breite Ebene – ein riesiger gedeckter Kuchen, überzuckert mit einer Vielzahl von Zelten, die in geometrischen Figuren auf seiner Oberfläche angeordnet waren. Der Zug hielt ruckend an, die Sonne, die Masten und die Bäume verblassten, und Anthony Patchs Universum, er selbst im Mittelpunkt, schlingerte langsam wieder in seine altgewohnte Lage. Als sich die Männer müde und verschwitzt aus dem Waggon schoben, roch er den unvergesslichen Duft, der [411] alle stehenden Truppenlager durchzieht – den Gestank von Müll.
    Camp Hooker war eine erstaunliche, eine sensationelle Wucherung nach dem Motto »Eine Bergbaustadt im Jahre 1870 – Woche zwei«. Es bestand aus Holzbaracken und weißgrauen Zelten, die durch ein Straßennetz miteinander verbunden waren, und aus harten, braunen, von Bäumen gesäumten Exerzierplätzen. Hier und da standen grüne CVJM -Häuser, wenig verheißungsvolle Oasen mit ihrem muffigen Geruch nach nassen Waschlappen und geschlossenen Telefonzellen – und ihnen gegenüber befand sich meist eine Kantine, in der es von Menschen wimmelte, unter dem lässigen Vorsitz eines Offiziers, der es mit Hilfe eines Kraftrads mit Beiwagen verstand, aus seinem Detachement einen vergnüglichen und gesprächsreichen Ruheposten zu machen.
    Auf den staubigen Straßen preschten die Soldaten des Quartiermeisterkorps auf und ab, ebenfalls auf Krafträdern mit Beiwagen. Auf und ab fuhren die Generale in ihren

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