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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Mittag. Er bestand darin, eine Abfolge unendlich belangloser Einzelheiten einzubleuen, und wenngleich sich Anthony im Klaren war, dass dies der Logik der Kriegsführung entsprach, so irritierte es ihn doch. Dass derselbe mangelhafte Blutdruck, der einem Offizier unangemessen gewesen wäre, nicht auch die Pflichten eines Schützen beeinträchtigte, war eine lächerliche Ungereimtheit. Manchmal, wenn er sich eine ausführliche Schimpfkanonade zum öden und absurden Thema militärischer Ehrenbezeigungen angehört hatte, beschlich ihn der Verdacht, der unbestimmte Zweck des Krieges bestehe darin, den regulären Armeeoffizieren – Männern mit der Mentalität und den Aspirationen von Schulknaben – dazu zu verhelfen, sich einmal bei einem richtigen Gemetzel auszutoben. Auf groteske Weise wurde er dem zwanzigjährigen Hinwarten eines Hopkins geopfert!
    Von seinen drei Zeltgefährten – einem flachgesichtigen Kriegsdienstverweigerer aus Tennessee, einem großen, erschrockenen Polen und dem hochmütigen Kelten, neben dem er im Zug gesessen hatte – verbrachten die beiden Ersteren die Abende damit, endlose Briefe nach Hause zu [415] schreiben, während der Ire im Zelteingang saß und wieder und wieder ein halbes Dutzend schriller und monotoner Vogelrufe vor sich hin pfiff. Als die Quarantäne am Ende der Woche aufgehoben wurde, fuhr Anthony in die Stadt, nicht so sehr in der Hoffnung auf Zerstreuung, als vielmehr, um für eine Stunde ihrer Gesellschaft zu entfliehen. Er bestieg einen der kleinen Autobusse, die jeden Abend schwarmartig ins Lager einfielen, und eine halbe Stunde später ließ er sich in der heißen und schläfrigen Hauptstraße vor dem Stonewall Hotel absetzen.
    In dem fahler werdenden Zwielicht sah die Stadt unerwartet reizvoll aus. Die Gehsteige wimmelten von grell angemalten Mädchen in bunten Kleidern, die mit leiser, lässiger Stimme zungenfertig daherplapperten; Dutzende Taxifahrer bedrängten vorübergehende Offiziere mit »Wohin Sie wollen, Lieutenant«, und in an- und abschwellender Prozession schlurften zerlumpte, unterwürfige Schwarze einher. Als Anthony durch die warme Abenddämmerung schlenderte, empfand er zum ersten Mal seit Jahren den erotischen Brodem des gemächlichen Südens, der in der heißen, weichen Luft, dem allgegenwärtigen Stillstand von Zeit und Denken hing.
    Er war ungefähr einen Block weit gelaufen, als er plötzlich von einem barschen Befehl neben seinem Ellbogen aufgehalten wurde.
    »Haben Sie nicht gelernt, wie man Offiziere grüßt?«
    Stumm betrachtete er den Mann, der ihn angesprochen hatte, ein untersetzter, schwarzhaariger Captain, dessen herausquellende braune Augen ihn drohend durchbohrten.
    »Stillgestanden!« Er donnerte den Befehl buchstäblich. [416] Ein paar Passanten in der Nähe blieben stehen und starrten herüber. Ein sanftäugiges Mädchen in einem lila Kleid sagte kichernd etwas zu ihrer Begleiterin.
    Anthony nahm Habachtstellung ein.
    »Regiment und Kompanie?«
    Anthony gab Auskunft.
    »Wenn Sie noch einmal einem Offizier auf der Straße begegnen, nehmen Sie gefälligst Haltung an und grüßen!«
    »In Ordnung!«
    »Das heißt ›Jawohl, Sir!‹«
    »Jawohl, Sir.«
    Der untersetzte Offizier brummelte etwas, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte die Straße hinunter. Nach einem Augenblick ging Anthony weiter; die Stadt war nicht länger unbeschwert und exotisch; plötzlich war der Zauber der Dämmerung verflogen. Sein Blick kehrte sich jählings nach innen, auf seine schmachvolle Position. Er hasste den Offizier, alle Offiziere – das Leben war unleidlich.
    Einen halben Block weiter sah er das Mädchen in dem lila Kleid, das über sein Missgeschick gegickert hatte, mit seiner Freundin etwa zehn Schritte vor sich gehen. Mehrere Male hatte sie sich umgedreht und Anthony angeblickt, mit einem fröhlichen Lachen in ihren großen Augen, die dieselbe Farbe wie ihr Kleid zu haben schienen.
    An der Ecke verlangsamten sie und ihre Begleiterin sichtlich ihre Schritte – er musste sich entscheiden, ob er sie ansprechen oder sich blind stellen und an ihnen vorübergehen sollte. Er ging vorbei, zögerte und bremste ab. Sogleich hatte das Paar ihn wieder eingeholt und brach in Gelächter [417] aus – nicht in fröhliches Kreischen, wie er es im Norden von Schauspielerinnen dieser vertrauten Komödie erwartet hätte, sondern in ein sanftes, leises Plätschern, wie das Überquellen eines feinsinnigen Scherzes, in den er versehentlich hineingeplatzt

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