Die Schönen und Verdammten
beweinten.
Unseligerweise befand ein kleiner und penibler Arzt, dass irgendetwas mit Anthonys Blutdruck nicht stimme. Er könne ihn nicht guten Gewissens zur Offiziersausbildung zulassen.
Die zerbrochene Laute
Ihr dritter Hochzeitstag verging, ungefeiert, unbemerkt. Die Jahreszeit erwärmte sich, bis es taute, zerschmolz zu einem heißeren Sommer, siedete und köchelte vor sich hin. Im Juli wurde das Testament zur gerichtlichen Bestätigung vorgelegt, und der Richter beraumte wegen Strittigkeit eine Gerichtsverhandlung während der Sitzungsperiode an.
Die Sache zog sich bis September hin – wegen der moralischen Gesinnungen, mit denen man es zu tun hatte, gab es Schwierigkeiten beim Auslosen einer unvoreingenommenen Jury. Zu Anthonys Enttäuschung erging schließlich ein [401] Urteilsspruch zugunsten der im Testament aufgeführten Erben, worauf Mr. Haight ein Berufungsverfahren gegen Edward Shuttleworth anstrengte.
Während der Sommer sich seinem Ende zuneigte, besprachen Anthony und Gloria, was sie tun würden, wenn ihnen das Geld zufiele, und die Orte, die sie nach dem Krieg besuchen würden, wenn sie »wieder miteinander im Einklang« wären, denn beide freuten sich auf die Zeit, da die Liebe wiedergeboren würde, aus ihren rätselhaften und unerklärlichen Schlupfwinkeln aufsteigend wie ein Phönix aus der Asche.
Im Frühherbst wurde Anthony eingezogen, und seinen niedrigen Blutdruck erwähnte der Musterungsarzt überhaupt nicht. Alles war sehr zwecklos und traurig, und eines Abends erklärte er Gloria, am liebsten würde er umkommen. Doch wie stets taten sie einander aus den falschen Gründen und zum falschen Zeitpunkt leid…
Sie beschlossen, dass sie für den Augenblick noch nicht ins Ausbildungslager in den Südstaaten mitkommen sollte, wo sein Truppenteil hinbeordert wurde. Sie würde in New York bleiben und, um Geld zu sparen, »das Apartment bewohnen« und den Fortgang der Streitsache verfolgen – die nunmehr vor dem Appellationsgericht anhängig war, dessen Sitzungskalender, wie Mr. Haight sie beschied, weit im Rückstand war.
Eines ihrer letzten Gespräche war ein sinnloser Streit über die angemessene Aufteilung ihres Einkommens – jeder hätte es sofort ganz dem anderen überlassen. Es war auch typisch für das heillose Durcheinander, welches in ihrem Leben herrschte, dass Gloria an dem Oktoberabend, an dem [402] sich Anthony in der Grand Central Station einfand, um die Fahrt zum Truppenlager anzutreten, gerade noch rechtzeitig eintraf, um über den sorgenvollen Gesichtern der versammelten Menge seinen Blick aufzufangen. Durch das dunkle Licht der geschlossenen Überdachung glitten ihre Blicke über ein hysterisches Gewimmel hinweg, verpestet von schwermütigen Schluchzern und dem Gestank armer Weiber. Sie grübelten wohl darüber nach, was sie einander angetan hatten, und beide gaben sich selbst die Schuld, das düstere Muster gezeichnet zu haben, dem sie auf unerfindliche und tragische Weise folgten. Zum Schluss waren sie zu weit voneinander entfernt, um die Tränen in den Augen des anderen zu bemerken.
[403] Drittes Buch
[405] Eine Frage der Zivilisation
Auf einen schnarrenden Befehl aus unsichtbarer Quelle kletterte Anthony in den Zug. Er musste daran denken, dass er zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren länger als eine Nacht von Gloria getrennt sein würde. Die Unwiderruflichkeit dieser Trennung übte einen düsteren Reiz auf ihn aus. Was er zurückließ, war sein sauberes und liebreizendes Mädchen.
Sie hatten sich, wie er meinte, auf die praktischste finanzielle Lösung geeinigt: Sie sollte dreihundertfünfundsiebzig Dollar im Monat erhalten – nicht allzuviel, wenn man bedachte, dass mehr als die Hälfte davon auf die Miete entfallen würde –, und er nahm fünfzig in Anspruch, um seinen Sold aufzubessern. Mehr brauchte er seiner Ansicht nach nicht: Nahrung, Kleidung und Unterkunft wurden gestellt, und gesellschaftliche Verpflichtungen hatte ein gemeiner Soldat nicht.
Der Waggon war überfüllt und die Luft bereits stickig. Es war ein Waggon vom Typ »Touristenwagen«, eine Art billiger Pullmanwagen mit nacktem Fußboden und strohgeflochtenen Sitzen, denen eine Säuberung gutgetan hätte. Trotzdem ließ Anthony ihn sich gefallen. Er hatte dunkel befürchtet, die Reise nach Süden in einem Güterwagen antreten zu müssen, wo an einem Ende acht Pferde stünden [406] und am anderen vierzig Mann. Die Geschichte von den »hommes 40, chevaux 8« hatte er schon so oft gehört,
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