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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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und da er vor ihren Augen zu verfallen und zu verderben schien, schraken Glorias Seele und Körper vor ihm zurück; wenn er die ganze Nacht über ausblieb, wie es mehrere Male vorkam, tat es ihr nicht nur nicht leid, vielmehr empfand sie sogar eine Art trauriger Erleichterung. Am nächsten Tag war er jeweils leicht zerknirscht und äußerte mit mürrischer Armesündermiene, er müsse wohl einen über den Durst getrunken haben.
    Stundenlang konnte er in einer Art Erstarrung in dem großen Lehnsessel sitzen, der in seinem Apartment gestanden hatte – selbst sein Interesse, in seinen Lieblingsbüchern zu lesen, schien ihn verlassen zu haben, und wiewohl die Ehepartner unaufhörlich miteinander haderten, gab es doch [547] ein Thema, über das sie sich unterhalten konnten: den Fortgang der Klage. Es ist schwer vorstellbar, was sich Gloria in den finstersten Tiefen ihrer Seele erhoffte, was sie erwartete, das dieses große Geldgeschenk bewirken sollte. Ihre Umgebung presste sie in die groteske Karikatur einer Hausfrau. Sie, die bis vor drei Jahren nicht ein einziges Mal Kaffee gebrüht hatte, bereitete mitunter drei Mahlzeiten am Tag zu. Nachmittags ging sie viel spazieren, und abends las sie – Bücher, Zeitschriften, alles, was ihr in die Hände fiel. Falls sie sich noch immer ein Kind wünschte, und sei es auch ein Kind von jenem Anthony, der ihr Bett sturzbetrunken aufsuchte, so ließ sie davon nichts verlauten und zeigte auch nicht das leiseste Interesse an Kindern. Es ist fraglich, ob sie irgendjemandem hätte erklären können, was sie eigentlich wollte oder was es zu wollen gab – eine einsame, bildhübsche Frau von nunmehr dreißig Jahren, verschanzt hinter einem undurchdringlichen Schutzpanzer, der zusammen mit ihrer Schönheit geboren war und zusammen mit ihr bestand.
    Eines Nachmittags, als der Schnee entlang dem Riverside Drive wieder schmutzig war, betrat Gloria, die bei ihrem Lebensmittelhändler gewesen war, das Apartment und sah, dass Anthony in einem Zustand erhöhter Nervosität auf und ab ging. Die fiebrigen Augen, mit denen er sie ansah, waren von winzigen rosa Äderchen durchzogen, die sie an die Flüsse auf einer Landkarte erinnerten. Einen Augenblick lang gewann sie den Eindruck, er sei plötzlich und unwiderruflich gealtert.
    »Hast du Geld?«, fragte er überstürzt.
    »Wie? Was soll das heißen?«
    »Geld! Geld! Verstehst du kein Englisch?«
    [548] Sie beachtete ihn nicht, sondern schob sich an ihm vorbei in die Speisekammer, wo sie den Schinkenspeck und die Eier in den Kühlschrank stellte. Wenn er außergewöhnlich ausschweifend getrunken hatte, war er unweigerlich quengeliger Laune. Diesmal folgte er ihr. In der Speisekammertür blieb er stehen und wiederholte seine Frage.
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Hast du Geld?«
    Vor dem Kühlschrank drehte sie sich um und starrte ihn an.
    »Wirklich, Anthony, du bist wohl verrückt! Du weißt genau, dass ich kein Geld habe – höchstens einen Dollar in Münzen.«
    Er machte eine abrupte Kehrtwendung und ging ins Wohnzimmer zurück, wo er wieder auf und ab lief. Es war offensichtlich, dass ihm etwas Wichtiges durch den Kopf ging – augenscheinlich wollte er gefragt werden, was mit ihm los war. Einen Augenblick später gesellte sie sich zu ihm, setzte sich auf das lange Sofa und fing an, ihr Haar zu lösen. Sie hatte keinen Bubikopf mehr, und im letzten Jahr hatte es sich von einem satten, rötlich schimmernden Goldton zu einem stumpfen Hellbraun verfärbt. Sie hatte sich Shampoo gekauft und wollte sich die Haare waschen; sie hatte mit dem Gedanken gespielt, dem Wasser, mit dem sie sich die Haare ausspülen wollte, eine Flasche Wasserstoffsuperoxyd zuzugeben.
    »Nun?«, deutete sie leise an.
    »Diese verflixte Bank!«, bebte er. »Seit mehr als zehn Jahren habe ich mein Konto bei denen – seit zehn Jahren! Anscheinend gibt es irgendeine selbstherrliche Vorschrift, dass man mehr als fünfhundert Dollar Einlage haben muss, [549] oder sie führen einem das Konto nicht. Vor ein paar Monaten haben sie mir einen Brief geschrieben und mir mitgeteilt, ich hätte zu wenig auf dem Konto. Einmal habe ich doch zwei ungedeckte Schecks ausgestellt – weißt du noch? Der Abend im Reisenweber’s? Aber gleich am nächsten Tag habe ich Geld eingezahlt. Dem alten Halloran – das ist der Filialleiter, dieser gierige Ire – habe ich versprochen, in Zukunft achtzugeben. Und ich meinte, ich hätte aufgepasst; die Abschnitte in meinem Scheckheft habe ich

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