Die Schönen und Verdammten
Aufmerksamkeit zu sichern, muss sich die Lyrik nach dem ungewöhnlichen Wort strecken, dem harschen, erdigen Wort, das noch nie schön war. Die Schönheit, als die Summe mehrerer schöner Teile, hat ihre Apotheose bei Swinburne erfahren. Sie kommt nicht weiter – außer vielleicht im Roman.«
Dick unterbrach ihn ungeduldig: »Weißt du, diese neuen Romane ermüden mich. Mein Gott! Wohin ich auch gehe, fragen mich irgendwelche albernen Mädchen, ob ich Diesseits vom Paradies gelesen hätte. Sind unsere Mädchen wirklich so? Wenn so etwas lebensgetreu ist, was ich nicht glaube, dann geht die nächste Generation vor die Hunde. Diesen schäbigen Realismus habe ich herzlich satt. Ich finde, die Literatur sollte auch dem Romantiker Platz bieten.«
[544] Anthony versuchte, sich daran zu erinnern, was er kürzlich von Richard Caramel gelesen hatte. Da war einmal Ein frischgebackener Leutnant in Frankreich, ein Roman namens Das Land der starken Männer und mehrere Dutzend Kurzgeschichten, die noch schlechter waren. Unter jungen und gewieften Rezensenten war es üblich geworden, Richard Caramel mit einem geringschätzigen Lächeln zu erwähnen. »Mr.« Richard Caramel nannten sie ihn. Sein Leichnam wurde obszön durch jede Literaturbeilage geschleift. Er wurde bezichtigt, mit kitschigen Filmdrehbüchern ein Vermögen zu verdienen. Da die Büchermode sich gewandelt hatte, war er beinahe zum Gegenstand der Verachtung geworden.
Während Anthony darüber nachdachte, war Dick aufgestanden und schien kurz davor, ein Geständnis abzulegen.
»Ich habe mir eine ganze Menge Bücher zugelegt«, sagte er plötzlich.
»Das sehe ich.«
»Ich habe eine umfassende Sammlung guter amerikanischer Titel angelegt, alter und neuer. Ich meine nicht das Hergebrachte: Longfellow, Whittier – nein, das meiste ist modern.«
Er trat vor eine der Bücherwände, und als Anthony sah, was von ihm erwartet wurde, stand er gleichfalls auf und folgte ihm.
»Schau!«
Unter dem gedruckten Etikett Americana stellte Dick sechs lange Reihen schön gebundener und offenkundig sorgfältig ausgewählter Bücher aus.
»Und hier stehen die zeitgenössischen Romanciers.«
[545] Dann bemerkte Anthony, worum es ging. Eingezwängt zwischen Mark Twain und Theodore Dreiser standen da acht merkwürdige und unpassende Bände, die Werke Richard Caramels – natürlich Der dämonische Liebhaber, aber auch sieben weitere, abscheulicher Schund, ohne jede Aufrichtigkeit oder Anmut.
Widerwillig blickte Anthony in Richards Gesicht, wo er leise Unsicherheit entdeckte.
»Natürlich habe ich meine Bücher dazugestellt«, sagte Richard Caramel hastig, »auch wenn ein oder zwei von ungleichmäßiger Qualität sind – ich fürchte, ich habe ein bisschen zu schnell drauflosgeschrieben, als ich den Vertrag mit der Zeitschrift bekam. Das ist nicht falsche Bescheidenheit. Natürlich schenken mir einige Kritiker, seit ich etabliert bin, nicht mehr so viel Aufmerksamkeit – aber schließlich zählen ja nicht die Kritiker. Das sind doch alles Schafe.«
Zum ersten Mal seit langem – so lang, dass er sich kaum erinnern konnte – empfand Anthony so etwas wie die angenehme alte Verachtung für seinen Freund.
Richard Caramel fuhr fort: »Mein Verlag, weißt du, wirbt für mich als den Thackeray Amerikas – wegen meines New-York-Romans.«
»Ja«, brachte Anthony zuwege, »ich schätze, an dem, was du sagst, ist ziemlich was dran.«
Er wusste, dass seine Verachtung unangebracht war. Er wusste, dass er, ohne zu zögern, mit Dick getauscht hätte. Er selbst hatte sein Bestes versucht, um ironisch zu schreiben. Ach ja – warum sollte auch jemand bereitwillig das eigene Lebenswerk verunglimpfen?
Und indes Richard Caramel in dieser Nacht bei der [546] Arbeit saß, gewaltig auf die falschen Tasten einhieb, die müden, ungleichen Augen zusammenkniff und sich bis in die unfrohen Stunden hinein, wenn das Feuer erlischt und einem von überlanger Konzentration der Kopf schwirrt, mit seinem Schund abquälte, lümmelte sich Anthony, abscheulich betrunken, auf dem Weg zu seiner Wohnung in der Claremont Avenue im Fond eines Taxis.
Die Prügel
Als der Winter nahte, schien es, als sei Anthony von einer Art Wahnsinn ergriffen. Morgens wachte er so voller Unruhe auf, dass Gloria ihn im Bett zittern spürte, bevor er genügend Energie aufbrachte, um in die Speisekammer zu stolpern und sich einen Drink zu holen. Wenn er nicht unter dem Einfluss von Alkohol stand, war es mit ihm nicht auszuhalten,
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