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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Ständig ließ sie Verabredungen platzen, nicht wie früher in der kühlen Gewissheit, über jeden Vorwurf erhaben zu sein – der geschmähte Mann werde schon wie ein Schoßtier wieder angekrochen kommen –, sondern gleichgültig, ohne jede Verachtung und ohne jeden Stolz. Sie wütete kaum noch gegen die Männer – sie gähnte sie nur noch an. Ihrer Mutter – es war schon seltsam –, ihrer Mutter kam es vor, als erkalte sie.
    Richard Caramel hörte zu. Anfangs war er stehengeblieben, doch als die Ausführungen seiner Tante – hier um sämtliche Querverweise auf Glorias junge Seele und Mrs. Gilberts eigenen Kummer gekürzt – inhaltlich packender wurden, rückte er einen Stuhl heran und folgte ihr aufmerksam, während sie sich, zwischen Tränen und wehmütiger Ratlosigkeit, in Glorias langer Lebensgeschichte erging. Als sie zu der Geschichte vom letzten Jahr kam, zu der Geschichte von den Zigarettenstummeln, die überall in New York in kleinen Aschenbechern mit der Aufschrift Midnight Frolic und Justine Johnson’s Little Club zurückgeblieben waren, fing er erst langsam, dann immer schneller an zu nicken, bis sein Kopf zu ihrem Schlussstakkato lebhaft auf und nieder wippte, grotesk wie der Kopf einer Drahtpuppe – das konnte alles Mögliche bedeuten.
    In gewissem Sinne war Glorias Vergangenheit für ihn kalter Kaffee. Er hatte sie mit den Augen eines Journalisten verfolgt, denn eines Tages wollte er ein Buch über sie schreiben. Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt war sein Interesse ein rein familiäres. Insbesondere wollte er wissen, wer dieser Joseph Bloeckman sei, den er mehrere Male mit ihr gesehen hatte; und diese beiden Mädchen, mit denen sie [113] andauernd zusammen war, »diese« Rachael Jerryl und »diese« Miss Kane – Miss Kane war doch nun wirklich nicht jemand, den man mit Gloria in Verbindung bringen würde!
    Doch die Gelegenheit war verpasst. Mrs. Gilbert, die den Gipfel ihrer Ausführungen erklommen hatte, schickte sich eben an, mit Karacho die Skischanze des Kollapses hinabzugleiten. Ihre Augen waren wie ein blauer Himmel, den man durch zwei runde, rote Fensteröffnungen sieht. Die Haut um ihren Mund bebte.
    In diesem Augenblick tat sich die Tür auf, und Gloria und die beiden vorstehend erwähnten jungen Damen betraten den Raum.
    Zwei junge Frauen
    »Nanu!«
    »Guten Tag, Mrs. Gilbert.«
    Miss Kane und Miss Jerryl werden Mr. Richard Caramel vorgestellt. »Das ist Dick.« (Gelächter.)
    »Ich habe so viel von Ihnen gehört«, sagt Miss Kane zwischen einem Kichern und einem Japser.
    »Guten Tag«, sagt Miss Jerryl schüchtern.
    Richard Caramel versucht, sich so zu bewegen, als habe er eine bessere Figur, als der Fall ist. Er ist hin und her gerissen zwischen seiner angeborenen Herzlichkeit und der Tatsache, dass er diese Mädchen ziemlich gewöhnlich findet – ganz und gar nicht dem Farmover-College-Typ entsprechend.
    Gloria ist ins Bad verschwunden.
    [114] »Setzen Sie sich«, sagt Mrs. Gilbert strahlend und ist wieder ganz sie selbst. »Legen Sie ab.« Dick fürchtet, dass sie eine Bemerkung über das Alter seiner Seele machen wird, doch lässt er seine Bedenken fallen und unterzieht die beiden jungen Frauen der eingehenden Prüfung des Romanciers.
    Muriel Kane entstammte einer aufstrebenden Familie aus East Orange. Sie war eher gedrungen als klein und schwankte verwegen zwischen Drallheit und Breite. Ihr Haar war schwarz und kunstvoll frisiert. Dies, in Verbindung mit ihren hübschen Kuhaugen und ihren überroten Lippen, ließ sie aussehen wie Theda Bara, die prominente Filmdarstellerin. Ständig versicherten ihr die Leute, sie sei ein »Vamp«, und sie glaubte ihnen. Sie hoffte, dass man sich vor ihr fürchtete, und tat unter allen Umständen ihr Äußerstes, um den Eindruck von Gefährlichkeit zu vermitteln. Ein Mann mit Phantasie konnte das rote Fähnchen sehen, das sie ständig bei sich trug und das sie ungestüm und flehend schwenkte – wenn auch leider ohne großen spektakulären Erfolg. Auch war sie ganz und gar auf der Höhe der Zeit: kannte die neuesten Lieder, sämtliche neuesten Lieder – wenn eines davon auf dem Grammophon gespielt wurde, sprang sie auf, schob die Schultern vor und zurück und schnippte mit den Fingern, und wenn es keine Musik gab, so begleitete sie sich selbst, indem sie vor sich hin summte.
    Auch ihre Konversation war auf der Höhe der Zeit: »Das ist mir piepe«, sagte sie etwa, »ich mache mir keine Kopfschmerzen wegen meiner Figur« – und dann wieder:

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