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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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angemessene Rauschmittel Wermut, Gin und Absinth.
    Die Gesellschaft von Geraldine Burke, Platzanweiserin im Keith’s, war ihm seit einigen Monaten lieb. Sie forderte so wenig von ihm, dass er sie gern hatte, denn seit einer beklagenswerten Affäre mit einer Debütantin im vergangenen Sommer, als er entdeckte, dass schon nach einem halben Dutzend Küsse ein Antrag von ihm erwartet wurde, hütete er sich vor Mädchen seiner eigenen Schicht. Bei denen fiel es allzu leicht, den kritischen Blick von Unvollkommenheiten abzuwenden: einer körperlichen Unschönheit oder einem generellen Mangel an persönlichem Zartgefühl – aber an ein Mädchen, das Platzanweiserin im Keith’s war, ging man mit einer anderen Haltung heran. Bei einem vertrauten Kammerdiener mochte man Eigenschaften in Kauf nehmen, die man selbst einem unwichtigen Bekannten aus der eigenen Gesellschaftsschicht verübeln würde. Geraldine lag zusammengerollt am Ende des Sofas und musterte ihn aus schmalen, schrägen Augen.
    »Du trinkst die ganze Zeit, stimmt’s?«, fragte sie plötzlich.
    »Eigentlich schon«, erwiderte Anthony leicht erstaunt. »Du denn nicht?«
    »Nein. Manchmal gehe ich auf Partys, weißt du, ungefähr einmal in der Woche, aber ich trinke nur zwei oder drei Gläser. Du und deine Freunde, ihr trinkt die ganze Zeit. Ich finde, ihr ruiniert eure Gesundheit.«
    Anthony war gerührt.
    »Das ist aber lieb von dir, dass du dir Sorgen um mich machst.«
    [119] »Mach ich mir auch.«
    »So viel trinke ich doch gar nicht«, erklärte er. »Letzten Monat habe ich drei Wochen lang keinen Tropfen angerührt. Und so richtig betrunken bin ich nur einmal in der Woche.«
    »Aber du hast ständig etwas zu trinken da, dabei bist du erst fünfundzwanzig. Hast du denn gar keinen Ehrgeiz? Denk nur, wie du mit vierzig sein wirst!«
    »Ich hoffe, dass ich nicht so lange leben werde.«
    Sie schnalzte mit der Zunge.
    »Bist du verrü-ückt?«, sagte sie, als er sich noch einen Cocktail mixte, dann: »Bist du eigentlich mit Adam Patch verwandt?«
    »Ja, das ist mein Großvater.«
    »Wirklich?« Sie war offenkundig überwältigt.
    »Ja, sicher.«
    »Das ist komisch. Mein Daddy hat früher für ihn gearbeitet.«
    »Er ist ein alter Kauz.«
    »Ist er nett?«, wollte sie wissen.
    »Nun ja, privat ist er nur selten unnötigerweise unangenehm.«
    »Erzähl mir von ihm.«
    Anthony überlegte. »Er ist verhutzelt und hat noch ein paar graue Haare übrig, die immer so aussehen, als hätte der Wind sie durchgepustet. Er ist sehr moralisch.«
    »Er hat viel Gutes getan«, sagte Geraldine in tiefem Ernst.
    »Blödsinn!«, höhnte Anthony. »Er ist ein frommer Esel– ein Kamel.«
    Sie ließ dieses Thema fallen und flatterte zum nächsten.
    [120] »Warum wohnst du nicht bei ihm?«
    »Warum wohne ich nicht in einem methodistischen Pfarrhaus?«
    »Bist du verrü-ückt?«
    Wieder machte sie, um ihre Missbilligung auszudrücken, ein leise schnalzendes Geräusch. Anthony dachte, wie moralisch dieses kleine Luder im Grunde war – wie vollkommen moralisch sie auch dann noch wäre, wenn die unvermeidliche Woge angerollt käme, die sie von der Sandbank der Ehrbarkeit hinwegspülen würde.
    »Hasst du ihn?«
    »Das frage ich mich auch. Gemocht habe ich ihn nie. Wir mögen Leute nicht, die etwas für uns tun.«
    »Hasst er dich?«
    »Meine liebe Geraldine«, verwahrte sich Anthony mit einem belustigten Stirnrunzeln, »trink noch einen Cocktail. Er ärgert sich über mich. Wenn ich eine Zigarette rauche, kommt er schnüffelnd ins Zimmer gelaufen. Er ist ein Moralapostel, ein Langweiler und Heuchler. Wahrscheinlich würde ich dir das alles nicht erzählen, wenn ich nicht ein paar Gläser zu mir genommen hätte, aber es macht ja wohl nichts.«
    Geraldine war nachhaltig interessiert. Sie hielt ihr Glas, das sie noch nicht zum Mund geführt hatte, zwischen Zeigefinger und Daumen und betrachtete ihn mit Blicken, die einen Hauch von Ehrfurcht erkennen ließen.
    »Was meinst du mit Heuchler?«
    »Nun ja«, sagte Anthony ungeduldig, »vielleicht ist er ja keiner. Aber nichts von dem, was mir gefällt, gefällt ihm, daher ist er für mich uninteressant.«
    [121] »Hm.« Endlich schien ihre Neugier befriedigt. Sie ließ sich wieder ins Sofa zurücksinken und nippte an ihrem Cocktail.
    »Du bist schon komisch«, bemerkte sie versonnen. »Wollen dich eigentlich alle heiraten, weil dein Großvater reich ist?«
    »Nein – aber ich würde es ihnen nicht zum Vorwurf machen. Dabei habe ich gar nicht

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