Die Schönen und Verdammten
vor, jemals zu heiraten, weißt du.«
Das wies sie verächtlich von sich.
»Eines Tages wirst du dich verlieben. O ja – ich weiß es.« Sie nickte weise.
»Es wäre töricht, zu viel Selbstvertrauen zu haben. Genau das hat den Chevalier O’Keefe in den Ruin getrieben.«
»Wer war das?«
»Ein Geschöpf meiner blühenden Phantasie. Er ist eine meiner Schöpfungen, der Chevalier O’Keefe.«
»Verrü-ü-ückt!«, murmelte sie vergnügt und bediente sich jener unförmigen Strickleiter, mit der sie alle Klüfte überbrückte und den Menschen hinterherstieg, die ihr geistig überlegen waren. Unbewusst empfand sie, dass diese Leiter Entfernungen schrumpfen ließ und jemanden, dessen Einbildungskraft sich ihrem Verständnis entzogen hatte, wieder in greifbare Nähe rückte.
»O nein!«, wandte Anthony ein. »O nein, Geraldine. Du darfst beim Chevalier nicht den Nervenarzt spielen. Wenn du dich nicht in der Lage siehst, ihn zu verstehen, werde ich ihn dir nicht vorstellen. Außerdem verspüre ich seines bedauerlichen Rufes wegen ein gewisses Unbehagen.«
[122] »Ich denke, ich kann alles verstehen, was Sinn ergibt«, versetzte Geraldine leicht unwirsch.
»In diesem Falle gibt es im Leben des Chevaliers verschiedene Episoden, die sich als unterhaltsam erweisen könnten.«
»Nämlich?«
»Was mich dazu gebracht hat, an ihn zu denken und ihn ins Gespräch zu bringen, war sein vorzeitiges Ende. Ich hasse es, ihn von seinem Ende her vorstellen zu müssen, aber es scheint mir unabweisbar, dass der Chevalier in dein Leben eintreten muss.«
»Also, was war denn nun mit ihm? Ist er gestorben?«
»Und ob! Und zwar so. Er war Ire, Geraldine, ein halberfundener Ire – von der ungezähmten Art, mit vornehmem Akzent und rötlichem Haar. Gegen Ende der Ritterzeit wurde er aus Erin verbannt und setzte – was auch sonst? – nach Frankreich über. Nun hatte aber der Chevalier O’Keefe, Geraldine, wie ich eine Schwäche. Er war ungeheuer anfällig für Weibsbilder jeder Art. Nicht nur war er Gefühlsmensch, sondern auch Romantiker, ein eitler Geck, ein Mann wilder Leidenschaften, auf einem Auge leicht erblindet und auf dem anderen stockblind. Nun ist aber ein Mann, der die Welt in diesem Zustand durchstreift, ebenso hilflos wie ein zahnloser Löwe, und infolgedessen wurde dem Chevalier zwanzig Jahre lang von einer Reihe von Frauen sehr übel mitgespielt – Frauen, die ihn hassten, ausnutzten, langweilten, ärgerten, anwiderten, sein Geld durchbrachten, ihn zum Narren hielten – kurzum, die ihn, wie die Welt es ausdrückt, liebten.
Das war arg, Geraldine, und da der Chevalier, bis auf [123] diese eine Schwäche, diese übermäßige Anfälligkeit, ein Mann von scharfem Verstand war, beschloss er, sich von solchen Belastungen ein für allemal zu befreien. Mit diesem Vorhaben begab er sich in ein hochberühmtes Kloster in der Champagne, das anachronistischerweise – nun denn – St. Voltaire hieß. In dem Kloster herrschte die Regel, dass ein Mönch zeit seines Lebens nicht zum Erdgeschoss des Klosters hinabsteigen durfte, sondern in einem der vier Türme, die nach den vier Geboten der Klosterregel die Namen Armut, Keuschheit, Gehorsam und Stillschweigen trugen, wohnen und sich dem Gebet und der Beschaulichkeit widmen musste.
Als nun der Tag nahte, da der Chevalier der Welt Lebewohl sagen sollte, war er äußerst glücklich. Seine griechischen Bücher schenkte er alle seiner Haushälterin, sein Schwert schickte er in einer goldenen Scheide an den König von Frankreich, und alle seine irischen Souvenirs vermachte er dem jungen Hugenotten, der in der Straße, wo er lebte, Fisch verkaufte.
Dann ritt er zum Kloster St. Voltaire, tötete vor dem Portal sein Pferd und schenkte den Kadaver dem Klosterkoch.
Um fünf Uhr an diesem Abend fühlte er sich zum ersten Mal frei – für immer befreit von seiner Geschlechtlichkeit. Keine Frau durfte das Kloster betreten, keiner der Mönche tiefer steigen als bis zum zweiten Stock. Als er die Wendeltreppe erklomm, die zu seiner Zelle im obersten Geschoss des Turms der Keuschheit führte, verweilte er einen Augenblick an einem offenen Fenster, das aus zwanzig Metern Höhe eine darunterliegende Straße überblickte. Wie schön alles war, dachte er, die Welt, die er hinter sich ließ, die [124] goldenen Strahlen der Sonne, die auf die weiten Felder herabschien, das Gezweig der Bäume in der Ferne, die stillen, grünen Weingärten, die sich meilenweit vor ihm erstreckten. Mit dem Ellbogen
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