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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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er nicht mehr weiterkämpfte, sondern sich geschlagen gab. Er musste wohl eine uralte Seele sein, eine groteske Vorstellung; so alt, dass er schon halb vermodert war. Dennoch stimmte ihn die Wiederholung dieses Ausdrucks immer noch leicht verlegen, und es lief ihm ein unbehaglicher Schauer über den Rücken. Er wechselte das Thema.
    »Wo ist meine sehr verehrte Cousine Gloria?«
    »Wieder mal auf Achse, mit irgendjemandem.«
    Dick schwieg, bedachte sich, schnitt eine Grimasse, die sichtlich als Lächeln begann, jedoch mit einem [107] furchterregenden Stirnrunzeln endete, und traf eine Feststellung. »Ich glaube, mein Freund Anthony Patch ist in sie verliebt.«
    Mrs. Gilbert erschrak, strahlte eine halbe Sekunde zu spät und hauchte ihr »Wirklich?« im Tonfall gespielten Detektivgeflüsters.
    »Ich glaube «, verbesserte Dick sie ernst. »Sie ist das erste Mädchen, mit dem ich ihn, zudem so oft, zusammen sehe.«
    »Natürlich«, sagte Mrs. Gilbert mit übertriebener Gleichgültigkeit, »Gloria weiht mich wieder einmal in nichts ein. Sie ist sehr verschwiegen. Unter uns gesagt« – und sie beugte sich vor, offensichtlich entschlossen, nur den Himmel und ihren Neffen an ihrem Geständnis teilhaben zu lassen –, »unter uns gesagt, ich würde es begrüßen, wenn sie sich häuslich niederlassen würde.«
    Dick stand auf und ging ernst auf und ab, ein kleiner, rühriger, bereits rundlicher junger Mann, der die Hände unbeholfen in die ausgebeulten Hosentaschen steckte.
    »Wohlgemerkt, ich behaupte nicht, recht zu haben«, versicherte er dem durchaus im Hotelstil gehaltenen Stahlstich, der ihn seriös anlächelte. »Ich möchte nicht, dass Gloria etwas davon erfährt. Aber ich glaube, unser verrückter Anthony ist interessiert – sogar außerordentlich interessiert. Er redet ununterbrochen von ihr. Bei jedem anderen wäre das ein schlechtes Zeichen.«
    »Gloria ist eine sehr junge Seele…«, setzte Mrs. Gilbert begeistert an, doch ihr Neffe unterbrach sie mit einem dahingeworfenen Satz: »Gloria wäre eine sehr junge Närrin, wenn sie ihn nicht heiraten würde.«
    Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um, sein Gesichtsausdruck ein Schlachtfeld voller Fältchen und Grübchen, [108] verzerrt und verkrampft in einer gewaltigen Zurschaustellung seines Eifers – so, als wollte er die Indiskretion seiner Worte mit Aufrichtigkeit wettmachen. »Gloria ist ein Wildfang, Tante Catherine. Sie ist unkontrollierbar. Ich weiß nicht, wie sie es hingekriegt hat, aber in letzter Zeit hat sie ein paar ulkige Freunde aufgegabelt. Anscheinend ist es ihr egal. Und die Männer, mit denen sie früher in New York ausgegangen ist, waren…« Er hielt inne, um Atem zu schöpfen.
    »Ja-ja-ja«, warf Mrs. Gilbert ein, in dem schwächlichen Versuch, das ungeheure Interesse zu verhehlen, mit dem sie zuhörte.
    »Nun denn, heraus damit«, fuhr Richard Caramel feierlich fort. »Ich meine, dass die Männer, mit denen sie früher ausgegangen ist, die Leute, mit denen sie ausgegangen ist, erstklassig waren. Jetzt nicht mehr.«
    Mrs. Gilbert zwinkerte rasch – ihr Busen bebte, hob sich, schwoll an und verharrte einen Augenblick in diesem Zustand, und als sie ausatmete, entströmten ihr die Worte wie ein Sturzbach.
    Sie wisse Bescheid, rief sie flüsternd; o ja, Mütter sähen dergleichen. Aber was könne sie schon tun? Er kenne doch Gloria. Er sehe Gloria oft genug, um zu wissen, wie hoffnungslos jeder Versuch sei, ihr gut zuzureden. Gloria sei so verzogen – und zwar vollständig und außerordentlich. Zum Beispiel sei sie noch mit drei Jahren gestillt worden, als sie womöglich schon eine Mohrrübe hätte kauen können. Vielleicht – man wisse ja nie – habe genau das ihrer ganzen Persönlichkeit Gesundheit und Abhärtung eingebracht. Und seit ihrem zwölften Lebensjahr habe sie Jungen um sich [109] gehabt, in einer solchen Dichte, man habe sich kaum rühren können. Mit sechzehn sei sie auf die Bälle von Gymnasien gegangen, dann seien die Colleges an der Reihe gewesen; und wo immer sie hingegangen sei: Jungen, Jungen, Jungen. Zuerst, oh, bis zu ihrem achtzehnten Jahr, habe es so viele davon gegeben, dass es nie um einen vor allen anderen gegangen sei, doch dann habe sie es jeweils auf einen abgesehen gehabt.
    Sie wusste, dass es, über etwa drei Jahre verteilt, eine Reihe von Liebeleien gegeben hatte, insgesamt vielleicht ein Dutzend. In manchen Fällen standen die Männer noch vor dem Studienabschluss, andere hatten das College bereits hinter

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