Die Schönen und Verdammten
der im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand: Der dämonische Liebhaber war zur sofortigen Veröffentlichung angenommen worden. Anthony spürte, dass er von nun an seiner eigenen Wege gehen werde. Er sehnte sich nicht länger nach Maurys Gesellschaft, deren Wärme und Geborgenheit ihn noch im November aufgeheitert hatten. Die konnte ihm jetzt nur mehr Gloria schenken und sonst niemand. So freute ihn Dicks Erfolg nur beiläufig und stimmte ihn nicht wenig besorgt. Bedeutete er doch, dass die Welt voranschritt – schrieb und las und publizierte –, dass sie lebte. Er aber wollte, dass die Welt sechs Wochen lang reglos und mit angehaltenem Atem wartete – indessen Gloria vergaß.
Zwei Begegnungen
In Geraldines Gesellschaft fand er die größte Befriedigung. Einmal führte er sie zum Abendessen und ins Theater aus, und etliche Male bewirtete er sie bei sich zu Hause. Wenn er mit ihr zusammen war, nahm sie ihn ganz gefangen, nicht [163] wie Gloria, sondern indem sie jene erotischen Empfindungen in ihm besänftigte, die ihn Glorias wegen quälten. Es war einerlei, wie er Geraldine küsste. Ein Kuss war ein Kuss – und wollte während seiner kurzen Dauer aufs äußerste genossen sein. Für Geraldine gehörte alles in ein ganz bestimmtes Schubfach: Ein Kuss war eines, alles, was darüber hinausging, etwas durchaus anderes; ein Kuss war in Ordnung; alles andere »schlecht«.
Als die Frist zur Hälfte um war, ereigneten sich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Vorkommnisse, die seine wachsende Gelassenheit durcheinanderbrachten und einen vorübergehenden Rückfall verursachten.
Das erste war – er sah Gloria. Es war eine kurze Begegnung. Beide verneigten sich. Beide sprachen, aber keiner hörte den anderen. Und als sie ausgestanden war, las Anthony dreimal hintereinander eine Kolumne in der Sun, ohne einen einzigen Satz zu verstehen.
Man hätte meinen sollen, die Sixth Avenue sei eine sichere Straße! Nachdem er schon dem Herrenfriseur im Plaza entsagt hatte, bog er eines Morgens um die Ecke, um sich rasieren zu lassen, und während er wartete, dass er an die Reihe käme, legte er Mantel und Weste ab und stellte sich mit seinem am Hals offenen ungesteiften Kragen nahe ans Schaufenster. Der Tag war eine Oase in der kalten Wüste des März, und auf dem Gehsteig drängte sich das Völkchen der flanierenden Sonnenanbeter. Eine korpulente, mit Samt abgepolsterte Frau, die schlaffen Wangen zu oft massiert, glitt vorbei, gezogen von einem Pudel, der an seiner Leine zerrte – er vermittelte den Eindruck eines Schleppers, der einen Ozeandampfer einbringt. Gleich hinter ihnen ging [164] watschelnd in weißen Gamaschen ein Mann in einem gestreiften blauen Anzug, der das Schauspiel belächelte und, als er Anthonys Blick auffing, ihm durch die Fensterscheibe zuzwinkerte. Anthony lachte, unverzüglich in jene Stimmung versetzt, in der Männer und Frauen reizlose und lächerliche Phantasmen waren, grotesk gewölbt und gerundet in einer selbsterschaffenen rechteckigen Welt. Sie riefen in ihm dieselben Empfindungen hervor wie jene eigentümlich missgestalteten Fische, die die esoterische Welt grüner Aquarien bevölkern.
Zwei weitere Flaneure fielen ihm nebenhin auf, ein Mann und ein Mädchen – einen grauenhaften Augenblick später entpuppte sich das Mädchen als Gloria. Ohnmächtig blieb er stehen; sie kamen näher, und als Gloria einen Blick hineinwarf, sah sie ihn. Sie riss die Augen auf und lächelte höflich. Ihre Lippen bewegten sich. Sie war nicht einmal zwei Meter entfernt.
»Guten Tag«, murmelte er geistlos.
Gloria, glücklich, schön und jung – mit einem Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte!
In diesem Augenblick wurde der Friseurstuhl frei, und er las dreimal hintereinander besagte Zeitungskolumne durch.
Der zweite Zwischenfall ereignete sich tags darauf. Als er gegen sieben in die Manhattan Bar ging, sah er sich Bloeckman gegenüber. Wie der Zufall es wollte, war der Raum fast menschenleer, und bevor sie sich erkannten, hatte er sich bereits umittelbar neben dem älteren Mann postiert und seinen Drink bestellt. Insofern ließ es sich nicht vermeiden, dass sie miteinander ins Gespräch kamen.
[165] »Hallo, Mr. Patch«, sagte Bloeckman durchaus liebenswürdig.
Anthony schüttelte die dargebotene Hand und wechselte ein paar Aphorismen über die Fluktuationen des Barometers.
»Kommen Sie oft hierher?«, erkundigte sich Bloeckman.
»Nein, sehr selten.« Er unterließ es, hinzuzufügen, dass seine
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