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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Nu hatte sie sich losgemacht.
    »Nicht!«, sagte sie ruhig. »Ich will das nicht.«
    Sie setzte sich in die andere Ecke des Sofas und starrte gerade vor sich hin. Zwischen ihren Augen stand eine steile Falte. Anthony sank neben ihr nieder und ergriff ihre Hand. Sie war leblos und kalt.
    »Aber Gloria!« Er machte Anstalten, als wolle er den Arm um sie legen, doch sie entzog sich ihm.
    »Ich will das nicht«, wiederholte sie.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte er leicht ungeduldig. »Ich – ich wusste nicht, dass du so feine Unterschiede machst.«
    Sie antwortete nicht.
    »Willst du mich nicht küssen, Gloria?«
    »Ich mag nicht.« Es kam ihm vor, als habe sie sich seit Stunden nicht von der Stelle bewegt.
    »Ein ziemlich plötzlicher Sinneswandel, findest du nicht?« Der Ärger in seiner Stimme wuchs.
    [154] »Findest du?« Sie schien uninteressiert. Fast war es, als sehe sie einen anderen an.
    »Vielleicht sollte ich lieber gehen?«
    Keine Antwort. Er erhob sich und betrachtete sie aufgebracht, unsicher. Dann setzte er sich wieder.
    »Gloria, Gloria, willst du mich nicht küssen?«
    »Nein.« Ihre Lippen hatten sich nur schwach bewegt, als sie sich zu dem Wort öffneten.
    »Dann gehe ich jetzt.«
    Schweigen.
    »Gut – dann gehe ich.«
    Er war sich bewusst, dass es seinen Äußerungen unrettbar an einer gewissen Originalität mangelte. Deutlich empfand er, dass die ganze Stimmung drückend geworden war. Er wünschte, sie würde sprechen, über ihn herfallen, ihn anschreien, alles andere, nur nicht dieses durchdringende, eisige Schweigen. Er verwünschte den Schwächling und den Narren in sich; sein größter Wunsch war, sie zu schütteln, ihr weh zu tun, sie zusammenzucken zu sehen. In seiner Ratlosigkeit irrte er abermals.
    »Wenn du es satt hast, mich zu küssen, dann gehe ich jetzt wohl besser.«
    Er sah, wie sie leicht die Lippen kräuselte, und sein letztes bisschen Würde wich von ihm. Schließlich sagte sie: »Ich glaube, du hast diese Äußerung schon wiederholt von dir gegeben.«
    Unverzüglich schaute er sich um, erblickte auf einem Stuhl Hut und Mantel und stolperte – es war unerträglich – darauf zu. Als er wieder zur Couch sah, stellte er fest, dass sie sich nicht zu ihm umgewandt, sich überhaupt nicht [155] gerührt hatte. Mit einem erschütterten und sogleich bedauerten »Auf Wiedersehen« schritt er rasch, doch ohne Würde aus dem Zimmer.
    Ein, zwei Augenblicke lang gab Gloria keinen Laut von sich. Ihre Lippen waren noch immer gekräuselt, ihr Blick gerade, stolz, unnahbar. Dann verschleierten sich ihre Augen ein wenig, und halblaut murmelte sie dem erlöschenden Feuer drei Wörter zu: »Wiedersehen, du Esel!«
    Panik
    Der Mann hatte den härtesten Schlag seines Lebens erlitten. Endlich wusste er, was er wollte, doch nun, da er es herausgefunden hatte, schien es auf immer außer Reichweite zu rücken. Trübselig kam er nach Hause und ließ sich, ohne den Mantel auszuziehen, in einen Sessel fallen. Mehr als eine Stunde saß er so da, seine Gedanken überschlugen sich auf den Pfaden nutzloser und erbärmlicher Selbstversunkenheit. Sie hatte ihn fortgeschickt! Zu diesem Tatbestand kehrte er in seiner Verzweiflung immer wieder zurück. Statt das Mädchen zu packen und mit nackter Gewalt in die Arme zu schließen, bis sie seinem Verlangen nachgab, statt ihren Willen mit der Stärke des seinen zu brechen, war er, geschlagen und ohnmächtig, mit herabhängenden Mundwinkeln aus der Tür gegangen, und alle Kraft, die in seinem Kummer und Zorn gesteckt haben mochte, hatte sich hinter dem Betragen eines gezüchtigten Schulbuben verkrochen. Einen Augenblick lang hatte sie ihn schrecklich gern gehabt – ach was, ihn fast geliebt. Im nächsten schon war er [156] für sie zu einem gleichgültigen Ding geworden, ein anmaßender und zutiefst gedemütigter Mann.
    Sich selbst machte er keine großen Vorwürfe – einige natürlich schon, aber momentan beherrschten ihn andere, weit dringlichere Gedanken. Er war in Gloria weniger verliebt als vielmehr verrückt nach ihr. Wenn er sie nicht wieder in seiner Nähe haben, sie küssen, die Fügsame an sich drücken konnte, wollte er vom Leben nichts mehr. Drei Minuten durch nichts zu erschütternde Gleichgültigkeit hatten das Mädchen, das in seiner Vorstellung eine hohe, aber irgendwie doch beiläufige Position eingenommen hatte, zu seiner alleinigen Beschäftigung gemacht. Wie sehr auch seine ungestümen Gedanken zwischen dem leidenschaftlichen Begehren, sie zu

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