Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
ganze Zeit über ausschließlich mit ihr. Sie kam, ohne sich zu zieren, durch den Saal auf mich zu, und wenn ich dann, ohne erst ihre Aufforderung abzuwarten, rasch aufsprang, dankte sie mir jedes Mal mit einem Lächeln dafür, dass ich ihre Absicht sogleich erraten hatte. Wenn wir Herren an sie herangeführt wurden, sie aber nicht das mir zugefallene Stichwort erriet und dann einem anderen Tänzer die Hand reichen musste, zuckte sie bedauernd die schmalen Schultern und lächelte mir freundlich zu, als wollte sie mich trösten. Kam nach anderen Figuren bei der Mazurka ein Walzer an die Reihe und war ich lange mit ihr durch den Saal gewirbelt, atmete sie schwer, lächelte und flüsterte mir zu: ›Encore!‹ Dann drehte ich mich mit ihr immer schneller und schneller im Tanz und fühlte überhaupt nicht mehr meinen Körper.«
»Nun, wenn Sie die Taille Ihrer Dame umfassten, werden Sie, denke ich, nicht nur den eigenen, sondern auch ihren Körper sehr wohl gefühlt haben«, warf einer der Gäste ein.
Iwan Wassiljewitsch wurde jählings rot und rief beinahe wütend: »Ja, so seid ihr, die heutige Jugend! Ihr seht nur den Körper. Zu unserer Zeit war das anders. Je mehr sich meine Liebe zu Warenka steigerte, umso weniger dachte ich an ihren Körper. Heutzutage, da betrachtet ihr die Füße, die Knöchel und sonst was, ihr entkleidet die Frauen, in die ihr verliebt seid; für mich hingegen waren die von mir geliebten Wesen immer von einem – wie sich der bekannte Schriftsteller Alphonse Karr einmal ausgedrückt hat – Bronzepanzer umgeben. Uns lag es nicht nur fern, sie zu entkleiden, nein, wir waren im Gegenteil darauf bedacht, ihre Blöße zu bedecken, so wie es der fürsorgliche Sohn mit Noah getan hat. Nun ja, das werden Sie nicht verstehen . . .«
»Hören Sie nicht auf ihn«, sagte einer von uns. »Und was geschah weiter?«
»Ja, dann tanzte ich immer wieder mit ihr und merkte gar nicht, wie die Zeit verstrich. Die Musikanten, schon völlig erschöpft, stimmten, wie gewöhnlich gegen Ende eines Balles, nur noch ein und dasselbe Mazurkamotiv an; in den Nebenräumen hatte sich die ältere Generation in Erwartung des Abendessens bereits von den Spieltischen erhoben, und immer häufiger eilten Lakaien mit allen möglichen Dingen vorüber. Die Uhr ging auf drei. Es galt, die letzten Minuten zu nützen. Ich forderte sie nochmals auf, und wir drehten die soundsovielte Runde durch den Saal.
›Die Quadrille nach dem Essen halten Sie also für mich frei?‹, fragte ich, als ich sie zu ihrem Platz zurückführte.
›Selbstverständlich – falls wir nicht vorher aufbrechen sollten‹, antwortete sie lächelnd.
›Das werde ich nicht zulassen!‹, erklärte ich.
›Geben Sie mir jetzt den Fächer wieder‹, sagte sie.
›Es fällt mir schwer, mich von ihm zu trennen‹, entgegnete ich, während ich ihr den billigen weißen Fächer zurückreichte.
›Nun, dann nehmen Sie das zum Trost‹, sagte sie, riss eine kleine Feder vom Fächer ab und übergab sie mir.
Ich nahm die Feder und vermochte nur durch einen Blick meine grenzenlose Freude und Dankbarkeit auszudrücken. Ich war nicht nur froh und zufrieden, ich war von überschäumender Glückseligkeit und hohen Gedanken erfüllt, war nicht mehr ich selbst, sondern irgendein überirdisches Geschöpf, das nichts Böses kennt und nur zu Gutem fähig ist. Ich verbarg die kleine Feder in meinem Handschuh und blieb, außerstande, Warenka zu verlassen, vor ihr stehen.
›Schauen Sie mal, man bittet Papa, zu tanzen‹, sagte sie und zeigte auf die große, stattliche Gestalt ihres Vaters, eines Obersten mit silbernen Achselstücken, der mit der Frau des Hauses und einigen andern Damen an der Tür stand.
›Warenka, kommen Sie bitte her‹, rief die Hausherrin mit den Jelisaweta-Schultern und dem Brillantdiadem laut zu uns herüber.
Warenka begab sich zur Tür, und ich folgte ihr.
›Überreden Sie doch Ihren Vater dazu, einmal mit Ihnen zu tanzen, ma chère. Ach bitte, tun Sie es doch, Pjotr Wladislawitsch!‹, wandte sich die Hausherrin an den Oberst.
Warenkas Vater war ein sehr gutaussehender, stattlicher alter Herr mit auffallend frischer, rosiger Gesichtsfarbe. Den weißen Schnurrbart, zu dem von den Schläfen ein schmaler, ebenfalls weißer Backenbart herabführte, trug er à la Nicolas I. aufgezwirbelt, das Haar war zu beiden Seiten der Stirn nach vorn gekämmt, und ebenso wie bei der Tochter strahlte ein gewinnendes, frohes Lächeln in seinen Augen und umspielte
Weitere Kostenlose Bücher